Der 21. März ist Welt-Down-Syndrom-Tag. Wir stellen eine junge Frau vor, die mit dem Down-Syndrom lebt – und immer selbstständiger wird. Unter anderem, indem sie in zwei Arbeitswelten ihren Platz gefunden hat.
Vorsichtig rollt Nina Rexrodt das Plakat zusammen und schiebt es dann in einen länglichen Karton. Zukleben, Versandmarke drauf, fertig. Es sind Handgriffe, die ihr routiniert von der Hand gehen. Die junge Frau ist sichtlich zufrieden mit dem Ergebnis. Sie blickt auf und lacht, ihre Fröhlichkeit und ihre Offenheit sind ansteckend. „Nina ist unser Sonnenschein“, bringt es Karin Thünnissen, hauptamtliche Mitarbeiterin der Werraland Lebenswelten in Eschwege, auf den Punkt.



Seit Anfang Dezember ist Nina, die mit dem Down-Syndrom lebt, in einer Handmontage-Gruppe der Werkstätten tätig. Je nach Auftrag werden hier Werbemittel, Kondome oder auch schon mal Adventskalender für Hunde verpackt. Ihr machten diese Aufgaben Spaß, erzählt die 21-Jährige, deren Arbeitsalltag allerdings weitaus abwechslungsreicher ist als der der Kolleginnen und Kollegen. Denn an drei Wochentagen gehört sie auch zum Team der Tagespflege Lebenswert in Wanfried. Es sind zwei Arbeitswelten, die auf den ersten Blick recht gegensätzlich sind. Doch für Nina ist diese Kombination das Größte.
QUALIFIZIERUNG UND PRAKTIKA
„Nina ist ein Musterbeispiel dafür, wie Inklusion funktionieren kann“, sagt Selina Kluger vom Sozialdienst der Werraland Lebenswelten. In den vergangenen zweieinhalb Jahren habe die junge Frau eine Qualifizierung im Berufsbildungsbereich (BBB) der Werkstätten durchlaufen, Praktika in verschiedenen Bereichen absolviert und sich besonders auf dem Gebiet der Hauswirtschaft weitergebildet. „Diese Qualifizierung soll Menschen mit Beeinträchtigung zur Teilhabe am Arbeitsleben befähigen.“ Nach dem Abschluss folge meist eine Beschäftigung in den Werkstätten, aber auch ein so genannter Außenarbeitsplatz sei möglich.


Während ihrer Qualifizierung fühlte sich Nina im Bereich Handmontage besonders wohl. Aber auch die Tagespflege, in der sie sechs Wochen lang mitarbeitete, gefiel ihr gut. Zwischen beiden Arbeitsbereichen entscheiden musste sie sich nicht: „Uns war es wichtig, dass Nina den für sie idealen Platz in der Arbeitswelt findet. Deshalb haben wir ihren Wunsch, an zwei Orten zu arbeiten, von Anfang an unterstützt“, sagt Selina Kluger.
DREI TAGE TAGESPFLEGE, ZWEI TAGE IN DER WERKSTATT
Heute ist Nina Rexrodt jeden Donnerstag und Freitag in der Werkstatt der Werraland Lebenswelten tätig, an den übrigen Wochentagen in der Tagespflege. In der Altenpflegeeinrichtung, die an verschiedenen Tagen von insgesamt 60 Senioren besucht wird, hat sie einen so genannten Betriebsintegrierten Beschäftigungsplatz. Dieser wird vom LWV Hessen Integrationsamt zum Teil finanziert, ausgelegt auf ein Jahr.
Außerdem erhält Nina Rexrodt Assistenzleistungen des Landeswohlfahrtsverbandes (LWV) zur Teilhabe am Arbeitsleben sowohl für ihren Arbeitsplatz in der Werkstatt als auch in der Tagespflege. Auch der Fahrdienst zur Werkstatt wird vom LWV finanziert. „Generell ist es Ziel des LWV, behinderten Menschen den Weg auf den ersten Arbeitsmarkt zu ebnen. Dazu dienen unsere Unterstützungsleistungen, nämlich zur Förderung, Begleitung und Assistenz“, erklärt LWV-Fachbereichsleiter Peter Kraushaar, zuständig für den Teilhabebereich Nord-Ost.



Zur Tagespflege Lebenswert in Wanfried hat Nina eine besondere Beziehung, denn ihr Vater ist einer von drei Geschäftsführern des Familienunternehmens. Zudem wohnt sie selbst in der 4.000 Einwohner zählenden Kleinstadt und kennt viele Senioren, aber auch Kolleginnen schon ihr Leben lang.
Wie eng diese Beziehung ist, spürt man, als Nina die Einrichtung betritt. Sie läuft lachend auf die älteren Menschen zu, schüttelt Hände und verteilt Umarmungen. „Das ist oft genau das, was unsere Gäste brauchen“, sagt Pflegedienstleitung Anna Sohl. Mit ihrer unbeschwerten, lebensfrohen Art baue Nina schnell eine Beziehung zu anderen auf – sogar zu Personen mit schwerer Demenz. Selbst Gäste, die die meiste Zeit teilnahmslos im Raum säßen und sich nicht mitteilen könnten, reagierten auf Nina. „Sie ist in jeder Hinsicht ein großer Gewinn für unsere Einrichtung.“
AUF VIELFÄLTIGE WEISE BEGLEITET
Auf ihrem beruflichen Weg wird Nina auf vielfältige Weise begleitet, unter anderem von Frank Nützler, der der jungen Frau als Jobcoach der Werraland Lebenswelten zur Seite steht. Etwa einmal im Monat führen beide ein Reflexionsgespräch: Wie läuft es mit der Arbeit? Wo braucht Nina noch Unterstützung und wie kann man ihre Kompetenzen weiterentwickeln? „Langfristiges Ziel ist es, dass sie ihren Fähigkeiten entsprechend möglichst viele Aufgaben selbstständig übernehmen kann.“

HINTERGRUND: WELT-DOWN-SYNDROM-TAG
Der 21. März wurde von den Vereinten Nationen in 2011 zum Welttag der Menschen mit Down-Syndrom erklärt. Das Datum 21.3. greift symbolisch auf, dass die Betroffenen das Chromosom Nummer 21 3 Mal haben (Trisomie 21). Um für Personen, die mit dem Down-Syndrom leben, ein Bewusstsein zu schaffen und ihnen Aufmerksamkeit zukommen zu lassen, tragen viele Menschen an diesem Tag zwei verschiedene Socken – als Ausdruck dafür, dass alle Menschen unterschiedlich sind.
Die Trisomie 21 ist eine angeborene genetische Besonderheit. Sie kann ganz unterschiedlich ausgeprägt sein, hat aber Auswirkungen auf die körperliche und geistige Entwicklung der betroffenen Person. Zu den gesundheitlichen Problemen, die beim Down-Syndrom auftreten können, gehören ein Mangel an Muskelspannung, orthopädische Probleme, eine schnelle Gewichtszunahme, Probleme beim Sprechen, eine verzögerte kognitive Entwicklung oder eine erhöhte Anfälligkeit für Erkrankungen der Atemwege, der Haut, des Herzens, des Verdauungssystems oder der Schilddrüse.