Die Gedenkstätte Hadamar wird in den nächsten Jahren neu gestaltet und umfassend modernisiert. Was sich in Zukunft verändern wird, konnten Besucherinnen und Besucher jetzt während eines Tages der Offenen Tür erleben. Rund 100 Gäste kamen zu Rundgängen, Führungen, Vorträgen, Erzählcafés und Diskussionen.
Für den Tag der Offenen Tür stoppten die Bauarbeiten, die im August begonnen haben. Stattdessen konnten die Besucherinnen und Besucher einen Blick hinter die Kulissen der zukünftigen Gedenkstätte werfen. Der Kern: Die Ausstellung wird in Zukunft dreimal so groß und zeitgemäß präsentiert. Das historische Anstaltsgebäude wird denkmalgerecht saniert und für die Gäste barrierearm zugänglich gemacht. „Wir werden die Besucherinnen und Besucher in Zukunft auf viele unterschiedliche Arten ansprechen“, erläutert der Leiter der Gedenkstätte, Prof. Dr. Jan Erik Schulte.



Der Hintergrund: Seit Jahren steigt die Zahl der Interessierten, die sich über die Euthanasie-Verbrechen in Hadamar informieren wollen. 23.000 Besucherinnen und Besucher waren es im vergangenen Jahr, darunter vor allem Jugendliche. Allerdings könnten es noch deutlich mehr sein: „Wir haben schlicht nicht genug Raum, um alle Anfragen zu erfüllen“, sagt der stellvertretende Leiter der Gedenkstätte, Dr. Sebastian Schönemann. Gruppen müssen sich deshalb mit einem Vorlauf von einem Jahr anmelden, wenn sie einen Termin vereinbaren wollen. Zudem ist die Ausstellung inzwischen 34 Jahre alt und muss überarbeitet werden.
UMFASSENDE MODERNISIERUNG UND NEUGESTALTUNG GEPLANT
Mit der Neugestaltung soll den Besucherinnen und Besuchern erstmals ein Rundgang angeboten werden, den Schönemann in einer Führung durch die Baustelle vorstellte. Der Rundgang beginnt im ehemaligen „Weibertrakt“ im Westflügel, in dem die Geschichte des Gebäudes und seiner Menschen bis 1945 geschildert wird. Zweite Station ist die hölzerne Busgarage auf dem Hof der ehemaligen Tötungsanstalt. Dort kamen 1941 mehr als 10.000 Patientinnen und Patienten in grau lackierten Bussen an, die im Rahmen der „Aktion T4“ in der Tötungsanstalt Hadamar ermordet wurden. Die Opfer sollten dort aussteigen, ohne gesehen zu werden.
Die zukünftigen Gäste betreten nach der Busgarage den ehemaligen Bettensaal, der den Anschein einer normalen Heilanstalt erweckte und in dem die Patienten vorgeblich aufgenommen wurden. In diesem zukünftigen „Raum der Biographien“ werden die Lebensgeschichten der Verfolgten und Ermordeten auf unterschiedliche Art und Weise gezeigt – in Vitrinen, an Hörstationen, mit dreidimensionalen Objekten und multimedialen Angeboten.



Es folgt der Blick in die ehemalige Gaskammer im Keller, in den die Patientinnen und Patienten angeblich zum Duschen gingen. Tatsächlich wurden sie dort mit Kohlenmonoxid erstickt. Um Tausende von Leichen vom Tötungsraum zu den beiden Krematoriumsöfen zu ziehen, die Tag und Nacht in Betrieb waren, brachten die Angestellten einen speziellen Belag auf den Boden auf. Davon zeugt bis heute eine sogenannte „Schleifbahn“, die im Rahmen der Sanierung möglicherweise unter Glas gelegt wird.
„RAUM DER NAMEN“ SOLL AN ERMORDETE ERINNERN
Ein weiterer Teil der Ausstellung soll noch mehr Raum für Diskussionen bieten – als Ort der Auseinandersetzung mit den Verbrechen, aber auch als Ort der Demokratiebildung, der zu Austausch und Gespräch einlädt. Zudem soll in der heutigen Bibliothek ein „Raum der Namen“ eingerichtet werden, der an die insgesamt ca. 15.000 Menschen erinnert, die das NS-Regime in Hadamar ermordete. Über 10.000 Menschen wurden 1941 im Keller vergast, rund 4.440 Menschen wurden zwischen 1942 und 1945 auf den Stationen durch Hunger und Medikamente ermordet.
Zugleich soll die Gedenkstätte inklusiver werden. Das fängt beim barrierearmen Eingang an. Über den Einsatz eines Medienguides sowie taktiler Elemente sollen zudem inklusive Rundgangsangebote geschaffen werden. Aktuell befindet sich die Gedenkstätte hierzu im Planungs- und Abstimmungsprozess mit Experten. „Barrierearmut und Inklusion ist ein ganz hohes Gut für uns“, betont Gedenkstättenleiter Schulte. Möglich wird die Erweiterung, weil Teile des Gebäudes, die in der Vergangenheit für die begleitenden psychiatrischen Dienste von Vitos in Hadamar genutzt wurden, in die Sanierung und zukünftige Nutzung einbezogen werden können.
NEUER, BARRIEREFREIER EINGANG GEPLANT
Auffälligste architektonische Veränderung wird der Eingang der zukünftigen Gedenkstätte sein. Alle Gäste starten ihren Rundgang in Zukunft über eine lange, breite Rampe, die zu einem Vorbau führt, der sich in Form und Material bewusst vom historischen Anstaltsgebäude absetzt. Geplant ist ein keilförmiger Kubus aus Stahl, in dem die Besucherinnen und Besucher ankommen. „Das Gebäude darf niemanden ausgrenzen“, betont Architekt Dimitris Michalakelis.



In der Baugrube vor dem Haupteingang wurde übrigens ein Teil der einst vier Meter hohen Umfassungsmauer entdeckt, mit der die Insassen der ehemaligen „Corrigendenanstalt“ an der Flucht gehindert wurden. In den Innenräumen sollen die hohen Decken wieder sichtbar werden. Auch die Muster des Steinbodens und die Rundbogendecken in den Fluren sollen freigelegt werden: „Wir wollen die Raumwirkung zeigen“, so Michalakelis.
UMBAUKONZEPT KOMMT BEI BESUCHERN GUT AN
Das Konzept kam während des Tages der Offenen Tür gut an: „Die Konstruktion des neuen Eingangs ist sehr freundlich und einladend“, lobten mehrere Gäste. Unterstützt wird die Neugestaltung auch von Hadamars Bürgermeister Michael Ruoff, der den Landeswohlfahrtsverband als „verlässlichen Partner“ lobte. Dem Kommunalpolitiker ist die Erinnerung an die Verbrechen in Hadamar sehr wichtig: „Wir müssen aufpassen, dass mit unserer Jugend keine ahnungslose Gesellschaft heranwächst“, sagte er mit einem Zitat der ehemaligen rheinland-pfälzischen Ministerpräsidentin Malu Dreyer. Und Gisela Puschmann vom Förderverein der Gedenkstätte ergänzte: „Alles, was das Böse benötigt, ist das Schweigen der Mehrheit.“
Während des Tages der Offenen Tür hatten die Besucherinnen und Besucher auch die Möglichkeit, die Geschichte des Ortes, das Archiv und die Sammlung der Gedenkstätte zu entdecken. Zudem konnten die Gäste in einem Erzählcafé ihre persönlichen Erinnerungen schildern. So berichtete ein heute 94-jähriger Hadamarer von dem weithin sichtbaren schwarzen Rauch und dem Geruch, der ihm als damals Zehnjähriger auffiel.