Oberhalb der ehemaligen Wohrateiche bei Haina ist das zukünftige Idyll schon sichtbar: Da schlängelt sich die Wohra durch einen Bruchwald aus Erlen – mal schmal, mal sich weitend und verwandelt das Tal in eine von Sumpfdotterblumen durchzogene Aue. „Dieses Bild wollen wir langfristig erzielen“, erläutert Planer Andreas Hennecke von der Gesellschaft für Wasserwirtschaft, Gewässerökologie & Umweltplanung (WAGU GmbH).



Der Landeswohlfahrtsverband (LWV) Hessen hat das auf solche Projekte spezialisierte Büro mit der Ausführungsplanung des Rückbaus der Dämme der beiden Teiche sowie der Renaturierung der Wohra beauftragt. Jetzt zeigte der LWV die geplanten Renaturierungsmaßnahmen vor rund 50 Interessierten im Bürgerhaus Haina. „Das ist ein aktiver Beitrag für den Artenschutz“, sagte Dieter Schütz, hauptamtlicher Beigeordneter des LWV: „Wir sind davon überzeugt, dass dieser Weg langfristig zu einem Gewinn für Flora und Fauna führt.“
DÄMME HÄTTEN BRECHEN UND HAINA ÜBERFLUTEN KÖNNEN
Den Hintergrund des Projekts schilderte Stephanie Liebscher von der Oberen Wasserbehörde des Regierungspräsidiums (RP) Kassel: Bei einer Überprüfung der Wohrateiche hatte das RP Kassel 2016 festgestellt, dass die Dämme der früher zur Wasserkrafterzeugung genutzten Stauteiche marode sind. Bei einem Hochwasser hätten sie brechen und große Teile der nahegelegenen Ortschaft Haina überfluten können. Als Sofortmaßnahmen wurden der Wasserspiegel der Teiche abgesenkt, Bäume auf den Dämmen gefällt und das sogenannte „Umgehungsgerinne“ – eine Art kleine Umleitung für die Wohra – wieder in Betrieb genommen. Muscheln, Edelkrebse und Fische haben die Experten bereits umgesiedelt.



Langfristig reicht die Absenkung des Wasserspiegels aber nicht. Deshalb entschied sich der LWV, zu dessen Grundbesitz die Teiche gehören, für den Rückbau und die Renaturierung. Das betroffene Gelände ist schon jetzt Jagdrevier von Wasser- und Teich-Fledermäusen, der seltenen Mopsfledermaus und dem Abendsegler. Zwerghaubentaucher und Teichhühner leben im Schilfgürtel. Erdkröten und Molche haben hier ihren Lebensraum.
ARBEITEN SOLLEN IM AUGUST STARTEN
Damit das auch so bleibt, wird es in Zukunft zahlreiche kleine Weiher anstelle der – in der Natur hierzulande eigentlich nicht vorkommenden – großen Wasserflächen der früheren Stauteiche geben, erklärt WAGU-Planer Andreas Hennecke. Zugleich werden damit die von der Oberen Naturschutzbehörde des RP Kassel geforderten Maßnahmen erfüllt. „Das einzuarbeiten, ist wirklich eine große Aufgabe“, sagte Anna Maria Pohl vom RP. Um die Lebensräume für die Fledermäuse zu erhalten, wurde in der Umgebung bereits mit ersten Arbeiten für sieben Waldteiche zur Lebensraumverbesserung begonnen, berichtete sie.
In den kommenden Monaten sollen im „Kälbergrund“, der kurz vor Haina-Kloster zwischen der Wohra und der Kreisstraße 107 liegt, neben den zwei bereits vorhandenen Auenbiotopen drei weitere Wasserflächen entstehen. Dabei handelt es sich um sehr flache, miteinander verbundene Stillwasserbiotope, die Fledermäusen und Amphibien gute Lebensbedingungen bieten. Die insgesamt dann 3.000 m² große Weiherkette soll durch den Gehlinger Bach gespeist werden. Die alte Stahldruckleitung wird abgebaut. „Vielleicht sehen wir hier schon im kommenden Frühjahr ein Stück offene, von verschiedenen Stillwasserflächen geprägte Wiesenaue“, so Planer Hennecke.



MANCHE ARBEITEN KÖNNEN ERST 2026 STARTEN
Im oberen Wohrateich, der in den vergangenen Jahren nicht mehr eingestaut wurde, stehen inzwischen Weiden und Birken dicht an dicht. Deswegen setzen die Experten in diesem Bereich auf eine „eigendynamische Gewässerentwicklung“. Das bedeutet, dass sich die Wohra nach dem Rückbau des sieben Meter hohen Dammes und des Umlaufgerinnes selbst ihr eigenes Bett suchen soll. Auf diese Weise kann sich das Gelände in einen Bruchwald verwandeln, durch den die Wohra mäandert. In der früheren Teichfläche beschränken sich die baulichen Maßnahmen auf die Anlage von zwei bis drei Querbänken, um die Sohle zu stabilisieren.
Derzeit noch teilweise mit Wasser gefüllt ist der untere Wohrateich. Er soll sich analog zum nördlichen Wohralauf zu einer natürlichen Bachauenlandschaft entwickeln, so Hennecke. Nach dem Rückbau des Dammes wird im oberen Teil des Areals in Zukunft eine Stillwasserfläche von 6000 Quadratmetern mit einer Wassertiefe von maximal 1,20 Meter entstehen. Im unteren Bereich windet sich die Wohra dann durch die Fläche, die derzeit noch von Wasser bedeckt ist. Die Überreste der Mauer des einstigen Mühlenwehres bleiben dabei gemäß den Vorgaben des Denkmalschutzes erhalten. Diese Umgestaltung kann erst frühestens 2026 gestartet werden.
DISKUSSION VERLIEF SACHLICH, INTERESSIERT UND KONSTRUKTIV
Mit der Präsentation überzeugte der LWV auch Kritiker, die von einem „gelungenen Entwurf“ sprachen. „Ich bin beeindruckt“, sagte etwa Karl-Heinz Bastet vom Naturschutzbund Waldeck-Frankenberg in der Diskussion, die von LWV-Pressesprecher Bernd Bark moderiert wurde. Angeregt wurde eine Gedenktafel, die auf die Entstehungsgeschichte der Wohrateiche eingeht und die Renaturierung erläutert. Die Teiche wurden Anfang des 20. Jahrhunderts angelegt.



Die neuen Biotope sollen nun in den kommenden drei Jahren entstehen. Nach Einschätzung der verantwortlichen Umweltexperten wird der Wert des Naturschutzgebiets für Flora und Fauna damit deutlich zunehmen. Es bietet zugleich mehr Hochwasserschutz, weil die Dämme nicht mehr brechen und keine Flutwellen auslösen können. Die Kosten schätzt der LWV derzeit auf 3,3 Millionen Euro, wobei ein erheblicher Teil der Ausgaben vom Land gefördert werden könnte.