Wenn Marc Oliver Gutzeit redet, sprechen die klare Wortwahl und seine trockene, humorvolle Art für sich. Mit seinem besonnenen Kommunikationsstil hat der 56-Jährige als betrieblicher Suchtbeauftragter in den zurückliegenden zwölf Jahren viele Menschen beim LWV erreicht: an Gesundheitstagen, bei Fortbildungen oder in persönlichen Gesprächen. „Ein sensibles Thema“, weiß Gutzeit aus Erfahrung, denn „Scham und Schuldgefühle spielen eine große Rolle. Wer spricht schon gern einen Kollegen oder eine Kollegin auf auffälliges Verhalten an? Aber Wegsehen ist beim Thema Sucht keine Lösung“, sagt er, „damit ist niemandem geholfen“.


Vielmehr geht es dem Suchtbeauftragten, der für diese Funktion eigens eine entsprechende Ausbildung und eine weitere zum Systemischen Berater absolviert hat, um eine Kultur des Hinschauens. „Da sind die Führungskräfte gefordert“, sagt Gutzeit, denn laut der Dienstvereinbarung Sucht, die es seit 2003 beim Landeswohlfahrtsverband gibt, vertreten in erster Linie die direkten Vorgesetzten die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers für die Gesundheit und ein sicheres Arbeitsumfeld ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.
ANSPRECHPARTNER FÜR BETROFFENE
Als Ansprechpartner stehen Marc Oliver Gutzeit und die weiteren acht Mitglieder des Arbeitskreises Sucht mit ihrem Fachwissen über Alkohol, Drogen und sonstige Süchte für vertrauliche, der Schweigepflicht unterliegende Gespräche zur Verfügung – insbesondere dann, wenn sich die Vermutung erhärte, „bei einem Mitarbeiter, einer Mitarbeiterin stimmt plötzlich oder seit einiger Zeit etwas nicht. Wenn Aufgaben nicht erledigt werden, wenn häufiger als üblich Fehler passieren, dann muss ich das als Führungskraft ansprechen. Klar und offen, nicht als Vorwurf“, sagt der Suchtbeauftragte.
Den meisten Führungskräften falle es nicht leicht, die Schamgrenze, anderen Menschen nicht zu nahe treten zu wollen, zu überschreiten. „Aber ich ermutige sie, dies bewusst zu tun, um zu helfen“, so Gutzeit. Denn es könne für den Betroffenen eine Entlastung sein, sein Problem nicht mehr verstecken zu müssen, und den Weg dafür frei machen, Hilfsangebote anzunehmen. „Mitunter stellt sich in einem offenen Gespräch heraus, dass keine Suchtproblematik der Grund ist, sondern ein familiäres Problem wie Tod, Trennung, Scheidung oder Erziehungskonflikte, die die Arbeitsfähigkeit runterziehen.“
HAUPTAUFGABE PRÄVENTION
Auch wenn Marc Oliver Gutzeit immer wieder mit konkreten Mitarbeiter-Fällen zu tun hatte und Betroffene schon selbst zu externen Suchtberatungsstellen und Hilfeeinrichtungen begleitet hat: Seine Hauptaufgabe ist die Prävention, wozu gerade die Fortbildungs-Angebote dienen. Dabei wird er unter anderem von seinen Kasseler Kolleginnen Christina Wehnhardt aus dem Fachbereich Personal und Suchthelferin Claudia Schmidt unterstützt. Die Angebote „Suchtprävention als Führungsaufgabe“ und „Suchtprävention für Nachwuchskräfte“, die Gutzeit entwickelt hat, stehen jedes Jahr im internen Fortbildungsprogramm und sind verpflichtend für die jeweilige Gruppe. „Die Teilnehmer kommen mehr oder weniger freiwillig, aber alle gehen mit einem bewussteren Blick auf das Thema Sucht und ihren eigenen Umgang damit heraus“, berichtet er.



Beispielsweise, was das Smartphone betrifft. „Ich fordere die jungen Leute zu Beginn der Fortbildung auf, ihre Handys in die Tischmitte zu legen. Wie lange halten sie es ohne aus? Werden sie unruhig? Nehmen sie es zur Mittagspause wieder an sich?“ Gerade das Smartphone sei „Segen und Fluch“ zugleich. „Das thematisiere ich in den Nachwuchs-Fortbildungen zur Suchtprävention.“ Genauso wie Alkohol, Partydrogen oder Cannabis Themen seien, sagt Gutzeit, der in seiner Haupttätigkeit als Regionalmanager beim LWV Hessen Integrationsamt in Darmstadt arbeitet. Sein Bestreben sei, die Digital Natives zu einem selbstbestimmten Umgang mit dem Handy, mit den digitalen Medien überhaupt, zu bewegen nach der Devise: „Ich beherrsche das Smartphone und nicht das Smartphone beherrscht mich – schon gar nicht am Arbeitsplatz.“
Aber, so seine Beobachtung aus den Seminaren und im Alltag, „es sind beileibe nicht nur die jungen Leute, die sich ständig mit dem Handy beschäftigen.“ Auch die Älteren würden der Faszination erliegen. Denn jeder Laut vom Smartphone löse das Dopamin-Glückshormon im Gehirn aus und „nährt die Sucht nach dem Belohnungskick“. Sein Tipp für eine Abgrenzung gegen eine ständige Erreichbarkeit und die Nachrichtenflut: „Ab ins Körbchen“ – gemeint ist ein fester Platz, an dem das Handy außerhalb des direkten Zugriffs geparkt wird.
ÜBERBETRIEBLICHES TREFFEN „SUCHT IN DER ARBEITSWELT“
Viel Interesse und Zustimmung erntet Marc Oliver Gutzeit auch an diesem Donnerstagvormittag mit seinem Vortrag „Digitale Medien selbstbestimmt nutzen“ vor knapp 30 Männern und Frauen – wie er alle in betrieblichen Funktionen als Mitglieder des Gesundheitsmanagements, der Sozialberatung, des Betriebs- bzw. Personalrats, als Vertrauensleute oder Suchtbeauftragte in ihren jeweiligen Firmen, Behörden und Einrichtungen tätig. Sie gehören dem Arbeitskreis „Sucht in der Arbeitswelt“, Region Kassel-Nordhessen, an und vernetzen sich viermal im Jahr, jeweils bei einem anderen Arbeitgeber: zum Erfahrungsaustausch, um neue Therapiemöglichkeiten kennenzulernen und vor allem, um das Wissen rund um Drogen, suchtauslösende Substanzen und Verhaltenssüchte zu erweitern.


Diesmal sind sie beim Landeswohlfahrtsverband Hessen zu Gast. An diesem Tag geht es auch um „Snus“. Kerstin Dahlke vom Diakonischen Werk Region Kassel, Koordinatorin des überbetrieblichen Arbeitskreises, teilt ein Handout über das nikotinhaltige Suchtmittel aus. In Skandinavien gang und gäbe, verbreiten sich die hochkonzentrierten Tabak-Beutelchen, die unter die Lippe geschoben werden, auch in Deutschland immer stärker über den illegalen Online-Handel. „Gerade unter Schülern.“ – „Und auch bei Sportlern ist Snus oder eine tabakfreie Variante beliebt als Aufputschmittel“, informieren einige Teilnehmer die Runde. Das Nervengift Nikotin gelangt über die Mundschleimhäute direkt in die Blutbahn und kann unvermittelt Kontrollverluste auslösen: Eine neue „Modedroge“ mit extremer Suchtgefahr, die der LWV-Suchtbeauftragte Marc Oliver Gutzeit in seinen künftigen Fortbildungen thematisieren dürfte.
HINTERGRUND: ARBEITSKREIS SUCHT BEIM LWV
Der Arbeitskreis Sucht (AK Sucht) ist ein wichtiger Bestandteil der betrieblichen Gesundheitsfürsorge beim LWV. Er wurde, ausgehend von der Dienstvereinbarung Sucht, in 2003 gegründet.
In Fällen, in denen eine Suchtproblematik bei einer Mitarbeiterin oder einem Mitarbeiter vorliegt, regelt laut Dienstvereinbarung ein Interventionsleitfaden, dass in einem strukturierten, stufenweisen Verfahren wiederholt Gespräche mit allen Beteiligten (Betroffene, Führungskraft, Suchtbeauftragter, Allgemeine Personalverwaltung, Personalvertretung, weitere Interessensvertreter) stattfinden. Individuelle Hilfsangebote werden aufgezeigt.
Neben den schon bestehenden jährlichen Fortbildungsangeboten zur Suchtprävention für Führungskräfte, Nachwuchskräfte und Beschäftigte soll es im Fortbildungsprogramm 2026 erstmals eine Fortbildung eigens für psychisch Ersthelfende nach dem Konzept der Mental Health First Aid (MHFA) und Konfliktlotsen unter dem Titel „Akutintervention, Schuld und Scham“ geben.