Das LWV Hessen Integrationsamt und der DGB Hessen-Thüringen haben rund 90 Teilnehmende zur jährlichen Fachtagung aktiv² eingeladen. Das Motto: „Gemeinsam handeln im Betrieb“. Im Fokus der diesjährigen Veranstaltung: „Das Betriebliche Eingliederungsmanagement (BEM) und seelische Gesundheit – verstehen, begleiten und integrieren“. Schwerbehindertenvertretungen, Personal- und Betriebsräte aus verschiedenen Branchen nutzten die Gelegenheit, um sich über dieses sensible Thema zu informieren und auszutauschen.
AUFTAKT MIT KLAREN BOTSCHAFTEN
„Seelische Gesundheit ist genauso wichtig wie körperliche Gesundheit. Beides gehört zusammen“, betonte Michael Rudolph, Bezirksvorsitzender DGB Hessen-Thüringen, in seinem Grußwort. Offenheit sei der Schlüssel, um das Thema aus der Tabuzone zu holen. Auch Susanne Simmler, Landesdirektorin des LWV Hessen, hob die Aktualität hervor: „Psychische Erkrankungen betreffen uns alle! Im Arbeitsleben sowohl aktiv als auch passiv.“ Sie rief dazu auf, Mut zu zeigen.



„BEM“ AUS DER PRAXIS
Besonders eindrücklich schilderte Hasan Isilak, Betriebsrat und Referent beim DGB-Bildungswerk Hessen-Thüringen, die Sicht der Betroffenen. Er erinnerte daran, dass hinter jeder Krankengeschichte mehr steckt als Akten und Paragrafen: „Für viele bedeutet der Arbeitsplatz nicht nur Arbeit, sondern auch finanzielle Sicherheit. Ein Zuhause, eine Familie, manchmal sogar die eigene Existenz.“ Genau deshalb sei es entscheidend, Betroffene im Rahmen des BEM-Prozesses nicht mit ihren Ängsten allein zu lassen. „Wer mit Existenzsorgen in ein Gespräch geht, kann sich kaum auf seine Gesundheit konzentrieren! Vor allem nicht bei einer psychischen Erkrankung.“ Hasan Isilak plädierte auf der aktiv²-Tagung für Vertrauen, Offenheit und klare Informationen. Wichtig sei nicht nur, Rechte und Pflichten zu kennen, sondern auch praktische Wege aufzuzeigen – von der Gefährdungsbeurteilung im Betrieb bis hin zur Unterstützung durch Krankenkassen.
PERSÖNLICHE BERATUNG IST WERTVOLL
Aus seiner Praxis berichtete er vom Therapie-Assessment-Programm (TAP), das in einem Unternehmen eingeführt wurde. Dort erhielten Betroffene zunächst fünf strukturierte Behandlungstermine, bevor sie an passende Praxen weitervermittelt wurden. „Das hat vielen Kolleginnen und Kollegen den Zugang zu Therapieplätzen erleichtert. Etwas, das in Zeiten knapper Versorgung Gold wert ist.“ Auch die persönliche Begleitung spiele eine große Rolle. So habe er Beschäftigte zu Gesprächen bei der Arbeitsagentur begleitet, um Missverständnisse zu vermeiden. „Allein das gemeinsame Erscheinen hat oft gereicht, um Ängste zu nehmen und in fast allen Fällen zu guten Lösungen geführt.“


STIGMA ABBAUEN, BETROFFENE STÄRKEN
Bettina Plaschke, Beraterin des Integrationsfachdienst Groß-Gerau, machte deutlich, dass psychische Erkrankungen in Betrieben noch immer mit Unsicherheit und Vorurteilen verbunden sind. „Viele Arbeitgeber fühlen sich überfordert, viele Betroffene trauen sich nicht, offen zu sprechen.“ Und die Zahlen unterstreichen ihre Botschaft: Zwischen 2014 und 2024 sind die Fehlzeiten aufgrund psychischer Erkrankungen um 47 Prozent gestiegen. Beschäftigte mit seelischen Erkrankungen fehlen im Schnitt über 40 Tage pro Jahr. Gegenüber höchstens 19 Tagen bei Beschäftigten ohne psychische Erkrankung. Plaschke berichtete von häufigen Diagnosen wie Angststörungen, Depressionen oder Alkoholsucht, die längst Teil des Arbeitsalltags sind. Ihr Appell: „Warten Sie nicht zu lange, sondern suchen Sie frühzeitig das Gespräch. Mehr Mut zur Offenheit kann Barrieren abbauen und Vertrauen schaffen.“



DREI WORKSHOPS ZUR VERTIEFUNG
Am Nachmittag konnten die Teilnehmenden in drei Workshops unterschiedliche Aspekte des Betrieblichen Eingliederungsmanagements (BEM) vertiefen. Im Ersten Workshop „Rollen im BEM – Miteinander – Füreinander“, moderiert von Hasan Isilak, wurde herausgestellt, wie wichtig das Zusammenspiel von Schwerbehindertenvertretung, Personal- bzw. Betriebsräten und weiteren Beteiligten ist. Es wurden Fragen wie „Welche Erwartungen habe ich an die verschiedenen Rollen im BEM?“, „Was bringt den Prozess weiter und was bremst ihn aus?“ oder „Voraussetzungen für ein gutes BEM-Gespräch“ aufgegriffen und erläutert. Ein gelungenes BEM lebe vom Miteinander und gegenseitigem Vertrauen.
GESPRÄCHE IM BETRIEBLICHEN ALLTAG WICHTIG
Der zweite Workshop widmete sich der vertrauensvollen Kommunikation mit Betroffenen. Unter der Leitung von Petra Pistorius und Bettina Plaschke wurde deutlich, wie sensibel schwierige Themen angesprochen werden sollten und wie durch Offenheit und Fingerspitzengefühl Akzeptanz für seelische Erkrankungen und BEM-Angebote wachsen kann. Neben praktischen Tipps stellten die Referentinnen auch mögliche Entstehungsfaktoren seelischer Erkrankungen vor. Zum Abschluss verdeutlichte ein kleines Rollenspiel zwischen Schwerbehindertenvertretung, Personalchef und BEM-Beauftragtem, wie herausfordernd, aber auch lösungsorientiert Gespräche im betrieblichen Alltag geführt werden können.
Nicole Jolivet-Wagner und Justin Herbert, LWV Hessen Integrationsamt, stellten die Frage „Was heißt gemeinsam stark?“ in den Mittelpunkt des dritten Workshops. Sie zeigten auf, wie eine enge Zusammenarbeit aller am BEM Beteiligten dazu beiträgt, Unterstützung frühzeitig und wirksam einzusetzen. Es wurde besprochen, wann das Integrationsamt in ein BEM-Gespräch einbezogen werden sollte und welche konkreten Hilfen und Unterstützungsmöglichkeiten in Frage kommen. Anhand von Fallbeispielen erarbeiteten die Teilnehmenden in Gruppen praxisnahe Lösungsvorschläge.



FAZIT: GELUNGENE VERANSTALTUNG
In der Abschlussrunde wurden die Ergebnisse der Workshops zusammengeführt. Alle Beiträge machten deutlich: BEM gelingt am besten durch klare Rollen, eine offene Kommunikation und eine enge Zusammenarbeit aller Beteiligten. Die Veranstaltung im Rahmen von aktiv² bot dafür wertvolle Impulse und bestätigte, dass BEM und seelische Gesundheit weiterhin zentrale Zukunftsthemen bleiben.