Ein großes Gesicht bei der Überwachung der Stammzellspende auf dem Computer-Monitor
Überwachung während der Stammzellspende in der Klinik auf dem Computer-Monitor (alle Fotos: privat)

Als genetischer Zwilling Leben retten

Mitarbeiterin von LWV-Gedenkstätte spendete Stammzellen

Für viele Menschen mit Leukämie oder anderen Bluterkrankungen ist eine Stammzelltransplantation die letzte Hoffnung. Für Lena Horz war es selbstverständlich zu helfen.

Jeden Morgen kneift sie eine Hautfalte am Bauch zwischen Daumen und Zeigefinger – und schaut kurz weg, wenn ihr Freund die Spritze setzt. Abends wiederholt er die Prozedur. Das Medikament regt die Produktion der Stammzellen an, die aus dem Knochenmark ins Blut wandern. Lena Horz hat Angst vor Nadeln, aber das hält sie nicht vom Spenden ab. Ihre Zellen erhält nun eine 70-jährige Patientin. Für viele Kranke ist eine Stammzellenspende die einzige Überlebenschance.

Die wissenschaftliche Volontärin in der Gedenkstätte Hadamar war auf Dienstreise, als die Stiftung anrief, bei der sie sich vor Jahren registriert hatte. Ihre Gewebemerkmale passen zu der Patientin – sie sind genetische Zwillinge. Ob sie spenden wolle? Natürlich. Genau dafür hat sie sich typisieren lassen.

Wenige Tage nach dem Anruf beginnt die Vorbereitung. In der Klinik wird sie gründlich untersucht: EKG, Ultraschall vom Bauch, Blutprobe. Doch abends spürt Lena Horz ein Kratzen im Hals. Tatsächlich hat sie sich erkältet, der Entzündungswert im Blut ist zu hoch. Die Spende muss warten. „Das tat mir leid.“ Denn die Patientin muss ausharren, bis Lena Horz wieder gesund ist. Nach einer weiteren Blutkontrolle gibt der Hausarzt grünes Licht.

Dann folgen vier Tage mit Spritzen, morgen und abends: Bauchfalten zusammenkneifen, weggucken, spritzen. Schon am zweiten Tag spürt sie Nebenwirkungen: Kopf-, Rücken- und Gelenkschmerzen. „Ich konnte nicht lange stehen und auch nicht auf der Seite liegen.“ Dazu „dieses fiese Pochen“ im Brustkorb, sobald sie aufsteht.

Am dritten Tag bewegt sie sich trotz Schmerzmittel wie eine alte Frau und denkt: Das ist heftig. „Aber ich weiß ja, wofür ich das mache.“ Die grippeähnlichen Nebenwirkungen des Medikaments sind bekannt. Lena Horz lässt sich krankschreiben. Ihre Arbeitgeberin, die Gedenkstätte Hadamar in Trägerschaft des LWV, hat Verständnis.

TYPISIERUNG BEI BLUTSPENDE

Mit 18 ließ sich Lena Horz als Stammzellspenderin registrieren – am selben Tag, an dem sie Blut spendete. In ihrer Familie ist das üblich: Auch ihre Eltern spenden Blut und sind typisiert. Dabei werden die HLA-Merkmale ihres Bluts in einer Spenderdatei gespeichert.

HLA steht für „Humane Leukozyten Antigene“. Diese Oberflächenmerkmale auf den weißen Blutkörperchen und vielen anderen Körperzellen helfen dem Immunsystem, Krankheitserreger zu erkennen und eigenes von fremdem Gewebe zu unterscheiden.

GEWEBEMERKMALE IN MILLIONEN KOMBINATIONEN

Für eine Transplantation müssen die entscheidenden Gewebemerkmale von Spender und Empfänger übereinstimmen. Sonst stößt der Körper die fremden Stammzellen ab. Doch die HLA-Merkmale gibt es in Millionen Kombinationen, erklärt die Stefan-Morsch-Stiftung, bei der Lena Horz registriert ist. Jeder zehnte Patient findet keinen passenden Spender. Und nur für jeden vierten Betroffenen kommt ein Spender aus der eigenen Familie infrage, deshalb sei es laut Stiftung wichtig, dass sich viele Menschen registrieren.

Für Lena Horz ist der Tag der Spende gekommen. Nach der letzten Spritze frühstückt sie, trinkt viel, dann legen ihr die Ärzte in der Klinik zwei Venenkatheter. Aus einem Arm wird Blut entnommen. In einer Zentrifuge werden die Blutbestandteile getrennt und die Stammzellen abgesaugt. Dann werden die einzelnen Blutbestandteile wieder gemischt und Lena Horz bekommt ihr Blut über den anderen Arm zurück. Dieser Vorgang wird mehrmals wiederholt, bis sie nach drei Stunden fertig ist. Am nächsten Tag erfährt sie, dass sie tüchtig viele Stammzellen produziert hat. „Dann haben sich die Nebenwirkungen wenigstens ausgezahlt.“

WAHRSCHEINLICHKEIT BEI EINEM PROZENT

Die Stiftung hatte Lena Horz bereits das zweite Mal kontaktiert, weil ihre Gewebemerkmale passten. Das ist selten: Die Chance, einen genetischen Zwilling zu finden, liegt bei etwa einem Prozent. Die meisten registrierten Stammzellspender werden nie angerufen. Beim ersten Mal durchlief Lena Horz fast die gesamte Prozedur, aber zur Entnahme kam es nicht.

Für weitere Stammzellempfänger ist Lena Horz jetzt gesperrt. Denn die 70-jährige Patientin könnte erneut auf ihre Stammzellen angewiesen sein. Frühestens in einem halben Jahr erfährt Lena Horz, ob die Transplantation erfolgreich war. Nach weiteren eineinhalb Jahren dürfen sie und die Empfängerin, falls beide einverstanden sind, Kontaktdaten austauschen. „Ich würde gern wissen, wie es ihr geht.“


HINTERGRUND

Im vergangenen Jahr suchten mehr als 4.100 kranke Menschen passende Stammzellspender. Diese Zahlen veröffentlichte das Zentrale Knochenmarkspender-Register Deutschland (ZKRD). Dort laufen die Daten aller in Deutschland registrierten Spender aus den verschiedenen Spenderdateien in anonymisierter Form zusammen.

Wer auf Stammzellen angewiesen ist, hat Blutkrebs oder eine andere Krankheit des blutbildenden Systems. Wenn Chemo- und Strahlentherapien nicht ausreichen, ist die Transplantation von Stammzellen für viele Kranke oft die einzige Chance zu überleben. Die Transplantation ist für die Patienten riskant und belastend – sie kommt nur dann infrage, wenn jemand ohne fremde Stammzellen sterben würde.

Weitere Informationen: Stefan-Morsch-Stiftung; Zentrales Knochenmarkspender-Register Deutschland (ZKRD)

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