Michael Geister und Katharina Aue an der Frankiermaschine der LWV-Poststelle
An der Frankiermaschine: Michael Geister, stellv. Leiter der LWV-Poststelle, zeigte Katharina Aue (Hephata) am Aktionstag "Schichtwechsel", wie's funktioniert. Foto: LWV-Pressestelle

Ein „Schichtwechsel“ für die Inklusion

Wertvolle Einblicke für LWV- und Hephata-Beschäftigte beim Arbeitsplatz-Tausch

Wie ist es, an einem Arbeitsplatz in einer Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM) im Einsatz zu sein? Und umgekehrt: Wie empfinden es Werkstatt-Beschäftigte, wenn sie in die Arbeitsabläufe eines Unternehmens des allgemeinen Arbeitsmarktes eingebunden werden? Diese Fragen können jetzt Stefanie Erhard, Katharina Aue, Patrik Schmidt, Sven Fuchs und Klaus Astheimer – alle Beschäftigte der Hephata-Werkstätten in Fritzlar, Ziegenhain und Treysa – sowie Birgit Behr, Peter Römer, Johannes Knull und Diego Cresencio Cabelan – alle Beschäftigte des Landeswohlfahrtsverbandes (LWV) Hessen – aus eigenem Erleben beantworten. Sie alle tauschten für einen Tag ihre Arbeitgeber gegeneinander aus und wurden so Teil der Aktion „Schichtwechsel“, zu der die Bundesarbeitsgemeinschaft Werkstätten für behinderte Menschen e.V. (BAG WfbM) am 10. Oktober bundesweit zum inzwischen achten Mal aufgerufen hatte. Dahinter steht die Idee, Arbeitgeber für die Umsetzung eines inklusiven Arbeitsmarktes zu gewinnen.

NEUN TAUSCHPARTNER MIT DABEI

Für alle war es ein spannender Rollentausch mit bereichernden Erfahrungen und Begegnungen. Kurz blieb noch Zeit für ein Gruppenfoto, nachdem die fünf Hephata-Beschäftigten mit ihren Betreuerinnen in der LWV-Hauptverwaltung am Kasseler Ständeplatz eingetroffen waren. Dann machten sich die vier Tauschpartner auf Seiten des LWV auch schon auf den Weg zu den Hephata-Werkstätten in den Schwalm-Eder-Kreis.

Im Gegenzug wurde es auch für die Gäste von Hephata spannend. Für Stefanie Erhard ging es beim LWV in die Registratur, wo sie die digitale Aktenablage kennenlernte, die sie „richtig gut“ fand. Sven Fuchs, der bei Hephata auf einem Betriebsintegrierten Beschäftigungsplatz im Betriebsbereich Fuhrpark in Treysa arbeitet, und Patrik Schmidt, Vorsitzender des Werkstattrates und in der Industriemontage der Ziegenhainer Werkstatt tätig, schlossen sich den LWV-Hausmeistern an. Ihr Schnupperpraktikum führte sie als erstes in den Keller zur zentralen Heizanlage des Ständehauses. Danach schauten sie ins Möbellager und die Schreinerei, in die Garagen zu den Dienstwagen und ins Archiv des Landeswohlfahrtsverbandes. Begeistert waren beide vom Blick hinter die Kulissen der technischen Anlagen, zum Beispiel der Fahrstühle unter dem Ständesaal, um Tische und Stühle dorthin zu transportieren, oder den elektrischen Rollregalen im Archiv.

BEIM LWV IN BÜROJOB GESCHNUPPERT

Klaus Astheimer, der bei Hephata in der Für-Uns-Manufaktur, einer Werkstatt für Menschen mit psychischen oder seelischen Behinderungen, arbeitet, schnupperte beim LWV in einen Bürojob hinein. Und erfuhr viel über die Abläufe in der Sachbearbeitung, wenn Menschen mit Behinderungen einen Antrag auf Unterstützungsleistungen beim LWV stellen. Sein Resümee am Ende des Aktionstages: „Ich gehe mit vielen positiven Eindrücken und Erfahrungen nach Hause. Und ich konnte in meine eigene Akte blicken.“ Die Verwaltungstätigkeit, die ihm nähergebracht wurde, gefiel ihm so gut, dass er nun ernsthaft über ein Praktikum beim LWV nachdenkt.

Erst etwas aufgeregt, dann immer selbstsicherer ließ sich Katharina Aue in der Poststelle auf die Frankiermaschine ein. Wo werden die Briefumschläge eingelegt? Was muss eingestellt werden? Welche Aufkleber? Nach Anleitung durch LWV-Mitarbeiter Michael Geister richtete die 28-Jährige die Maschine ein, drückte couragiert den Knopf und startete damit den Frankiervorgang. „Es ist schon anders als in der Schreinerei in Fritzlar, wo ich sonst arbeite“, so ihr Eindruck von ihrem Tausch-Arbeitsplatz. „Aber das ist cool. Ich interessiere mich für Sachen mit Briefen. Ich schreibe auch viele Briefe an Freunde und Bekannte“, bemerkte die junge Frau. Das Team der Poststelle freute sich über Katharina Aue und ihre offene Art, sich auf Neues einzulassen: eine Begegnung auf Augenhöhe, wie sie der Aktionstag „Schichtwechsel“ zum Ziel hat.

„ES IST GUT, MAL DIE ANDERE SEITE KENNEZULERNEN“

Zur gleichen Zeit wie ihre Tauschpartner gewannen die vier LWV-Beschäftigten wertvolle Einblicke in die Hephata-Werkstätten. „Es ist gut, mal die andere Seite kennenzulernen – zu sehen, was mit dem Geld passiert, das der LWV bewilligt, was damit gemacht wird und wie es den Menschen geht“, sagte Birgit Behr, Leiterin der Aus- und Fortbildung beim LWV, die in der Besen- und Bürstenmacherei in der WfbM der Sozialen Teilhabe in Treysa zu Gast war. Für Peter Römer war die Arbeit in der Für Uns-Manufaktur Fritzlar eine vollkommen neue Erfahrung: „Als Verwaltungsfachangestellter habe ich viel mit der Digitalisierung von Akten zu tun“, so der 32-Jährige. „Hier sieht man mal die Gesichter, die zu einer Akte des LWV gehören.“ Fasziniert ließ er sich von Hephata-Klient Kurt Eubel die Arbeit an der Hobelbank zeigen. Seine Kollegen Johannes Knull und Diego Cresencio Cabelan sahen sich derweil die Metall-WfbM der Sozialen Teilhabe (ehemals Behindertenhilfe) Hephatas in Ziegenhain an.

Über den gelungenen Arbeitsplatz-Tausch von Menschen mit und ohne Behinderungen freute sich denn auch LWV-Landesdirektorin Susanne Simmler: „Einfach mal machen, testen, ausprobieren und sich kennenlernen – das ist so wertvoll! Ich halte den Aktionstag Schichtwechsel für eine tolle, gewinnbringende und Hemmschwellen abbauende Initiative.“ Immer noch gebe es viele Vorbehalte gegenüber der Leistungsfähigkeit von Menschen mit Behinderung, die in Werkstätten arbeiten, so Simmler. „Umgekehrt haben die behinderten Menschen häufig Ängste und Sorgen, wenn sie die Werkstatt verlassen und in einem regulären Betrieb arbeiten sollen.“ Beides, Vorurteile und Ängste, würden durch den Aktionstag abgebaut.

UNTERNEHMEN PROFITIEREN VON „SCHICHTWECHSEL“

Aber auch die Unternehmen des allgemeinen Arbeitsmarktes haben viel von einem solchen „Schichtwechsel“. Sei es, um in Zeiten des Arbeitskräftemangels auf Menschen mit Behinderungen zuzugehen und womöglich als künftige Mitarbeitende zu gewinnen. Sei es, um von den positiven Auswirkungen zu profitieren, die Menschen mit diversen Ressourcen in ein offenes, von Toleranz geprägtes Betriebsklima einbringen.

Nach dem durchweg positiv verlaufenen Austausch-Tag zwischen LWV und Hephata dankte Susanne Simmler allen, die den „Schichtwechsel“ organisiert und begleitet hatten. Sie sicherte zu: „Der LWV wird sich auch im kommenden Jahr wieder an der Aktion beteiligen.“

 

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