LWV-Team in MHFA Ersthelfer-Schulung
Marco Schieferstein und sein Team absolvieren einen Ersthelfer-Kurs für psychische Gesundheit. (Foto: M. Schüttler-Hansper)

Ein „Werkzeugkoffer“ für psychische Nöte

Erstes LWV-Team absolviert einen MHFA Ersthelfer-Kurs

Knapp 30 Prozent der Erwachsenen in Deutschland sind pro Jahr von einer psychischen Gesundheitsstörungen betroffen – so das Ergebnis einer repräsentativen, stichprobenhaften Befragung durch die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN). „Folglich kennt fast jeder aus seinem privaten oder beruflichen Umfeld einen Menschen, der psychische Probleme hatte oder hat. Für uns ein guter Grund, dass wir uns genauer mit dem Thema auseinandersetzen wollten“, sagt Marco Schieferstein. Dem Regionalteamleiter für Limburg, Weilburg und den Rheingau-Taunus-Kreis im Bereich der Eingliederungshilfe und Einzelfallhilfe beim Landeswohlfahrtsverband (LWV) Hessen liegt das Thema sehr am Herzen. Im Juli besuchte er zusammen mit seinem Team deshalb einen Mental Health First Aid (MHFA) Ersthelfer-Kurs für psychische Gesundheit.

EIGENE KOMPETENZ STÄRKEN

„Stellt euch bitte alle mal vor und erzählt etwas über eure Motivation, am MHFA Ersthelfer-Kurs teilzunehmen.“ Ganz locker steigt Dr. Julia Reiff, stellvertretende Klinikdirektorin der Vitos Klinik Eichberg, mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des LWV in den zweitägigen Kurs ein. Bei der kurzen Vorstellungsrunde kommt einiges an Erwartungen und Wünschen zusammen: Prävention; Menschen frühzeitig Hilfe anbieten, sowohl im Beruf als auch im Privaten; als Vorbild dienen und als Multiplikatoren wirken.
„Vom MHFA Ersthelfer-Kurs erwarte ich mir – ähnlich wie bei einem Erste-Hilfe-Kurs für die körperliche Gesundheit –, dass wir unsere eigenen Kompetenzen stärken, Vertrauen in die eigene Stärke gewinnen, um das Wissen dann auch anwenden zu können und Menschen adäquat zu helfen“, beschreibt Schieferstein seinen Antrieb. Florian Schaffer, Sachbearbeiter für den Rheingau-Taunus-Kreis, ergänzt: „In unserem beruflichen Umfeld haben wir immer wieder Anrufer, etwa bei unserer Erstberatungs-Hotline, die ein entsprechendes Krankheitsbild aufweisen. Zu prüfen, ob eine Krise oder vielleicht sogar Suizidalität vorliegen, ist am Telefon natürlich schwer. Was wir im Kurs lernen, nehmen wir in unserem eigenen ‚Werkzeugkoffer‘ mit, um es dann in der Praxis anzuwenden. Für die Menschen in unserer Region, die entsprechende Teilhabeeinschränkungen haben und für die wir ja letztendlich da sind.“

AUSGEBILDETE INSTRUKTORIN GIBT WISSEN WEITER

Seit 2020 gibt es das Programm der MHFA Ersthelfer-Kurse für psychische Gesundheit in Deutschland. Dr. Julia Reiff gehört zu den ersten ausgebildeten Instruktorinnen hierzulande, die ihr Wissen weitergibt. In den zwölfstündigen Kursen, die sich auch online absolvieren lassen, geht es um die häufigsten psychischen Störungen – Depressionen, Angststörungen, Psychosen und Suchterkrankungen –, deren Warnzeichen und Symptome. Zudem um psychische Krisen und damit einhergehendes suizidales Verhalten.

Vorkenntnisse sind für einen MHFA-Ersthelfer-Kurs nicht nötig, wenngleich das Team um Marco Schieferstein berufsbedingt einiges an Grundwissen mitbringt. In Gruppenarbeit sammeln die Teilnehmenden erst einmal, welche biologischen, psychologischen und sozialen Faktoren und Einflüsse ein Risiko für die psychische Gesundheit darstellen können: etwa die Genetik, die durch Umweltfaktoren beeinflussbar ist, das Geschlecht, die innere Haltung, die Resilienz oder der soziale Hintergrund. Auch auf die Häufigkeit einzelner psychischer Störungen geht die Instruktorin zusammen mit den LWV-Mitarbeitenden ein. In Teamarbeit sortieren sie Erkrankungen des Körpers sowie der Psyche nach ihrer Schwere. „Bei körperlichen Erkrankungen fällt uns das offensichtlich leichter als bei psychischen“, stellt Schieferstein in der anschließenden Diskussion fest.

EIN HANDLUNGSPLAN FÜR DIE ERSTE HILFE

An Tag eins lernt die Gruppe auch einen Erste-Hilfe-Handlungsplan kennen, den das MHFA-Programm entwickelt hat. Dessen fünf Bausteine dienen dazu, Erste-Hilfe-Gespräche angemessen vorzubereiten und an wichtige Aspekte wie beispielsweise das offene Zuhören zu denken. Im Laufe des Kurses wird die Anwendung dieses Prinzips dann intensiv geübt, sowohl bei beginnenden psychischen Störungen als auch Krisen.

„Da Julia Reiff aus der Praxis kommt und immer wieder an Fallbeispielen aufzeigt, welche Krisen es geben kann, ist der Kurs sehr interessant“, beschreibt Ronja Schäfer, Sachbearbeiterin und Personalratsvorsitzende in Wiesbaden. Florian Schaffer ist sich sicher, dass er mit einem anderen Gefühl an seinen Schreibtisch zurück geht. „Die motivierende Moderation und die Filme veranschaulichen die Probleme und Krisen sehr gut. Wir machen uns ja anhand von Texten ein Bild von unseren Klienten. Im Kurs bekommen wir einen besseren Eindruck, was psychische Störungen für die Betroffenen bedeuten.“ Schieferstein findet zudem die Lernatmosphäre toll. „Im Vordergrund steht immer die Praxis, Beispiele aus unserem beruflichen, aber auch privaten Umfeld, was sicher auch mit der Offenheit und dem schönen Miteinander unseres Kurses zusammenhängt. Zudem merkt man deutlich, dass die Gruppe unbedingt lernen will.“

Bei Sonnenschein und einem herrlichen Blick auf die Weinberge geht es an Tag zwei im Direktionsgebäude in Eltville wieder frisch ans Werk. Es gibt noch einiges zu lernen und zu üben: Angststörungen, Panikattacken, Psychosen und Suchterkrankungen stehen auf dem Plan. In einem Rollenspiel erfahren die LWV-Mitarbeitenden, wie schwer es ist, sich zu konzentrieren, wenn man in seinem Kopf Stimmen hört. Trotz der meist ernsten Themen gibt es für die Gruppe auch immer mal wieder was zu lachen.

KÜNFTIG IM LWV-FORTBILDUNGSPROGRAMM VERANKERT

„Dass ich jetzt den ersten MHFA Ersthelfer-Kurs für ein Team des LWV geben darf, freut mich. Die Dynamik der Gruppe gefällt mir sehr, auch dass echtes Interesse am Thema besteht und intensiv diskutiert wird,“ sagt Dr. Julia Reiff. Die Ärztin wünscht sich, dass das MHFA Ersthelfer-Programm weiterverbreitet wird und sich die Menschen in Sachen Erste Hilfe für die Psyche mehr zutrauen: „Häufiger jemanden ansprechen. Lieber etwas tun, als gar nichts tun. Keine Angst haben, dass man etwas auslöst, was dem Betroffenen schaden könnte. Das Strafrecht schützt uns, wenn wir etwas Falsches machen. Unterlassene Hilfeleistung dagegen ist strafbar.“

Marco Schieferstein und seine Kolleginnen und Kollegen haben die Ausbildung zur Ersthelferin bzw. zum Ersthelfer für psychische Gesundheit erfolgreich beendet. „Die Fortbildung als Team zu absolvieren war für uns absolut gewinnbringend und eine Investition in die Zukunft. Ich bin sehr froh, dass wir die Möglichkeit dazu bekommen haben.“ Er ist überzeugt: „Die Gruppe wächst dadurch noch mehr zusammen.“ Ronja Schäfer begrüßt die Entscheidung, dass die MHFA Ersthelfer-Kurse zukünftig Teil des Fortbildungsprogramms des LWV sind: „Wer die Chance bekommt, sie als Team zu absolvieren, sollte das auf jeden Fall nutzen.“

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