Gruppenfoto mit Victor Hennemann
Victor Hennemann mit (v. l.) Liena Zlepko, Vitor Augusto Bressan, Marciana Dias und Frare-Chef Antonino Polizzi (Fotos: Christina Hein)

Eiskalte Leckereien mit besonderem Service

Junger Mann mit Down-Syndrom arbeitet in Kasseler Eiscafé

Der 21. März ist weltweit der Down-Syndrom-Tag. So soll das öffentliche Bewusstsein auf die Genmutation gelenkt werden. In Deutschland leben etwa 50.000 Menschen mit Trisomie 21. In Hessen werden viele von ihnen durch den Landeswohlfahrtsverband (LWV) Hessen finanziell gefördert und unterstützt. Wir stellen einen von ihnen vor: Victor Hennemann.

Im Eiscafé Frare in Kassel scheint – egal, ob es draußen regnet oder der Himmel grau ist – eigentlich immer die Sonne. Und das liegt auch an Victor, der hier an vier Tagen in der Woche den Gästen Eisbecher, Tiramisu und Kaffee serviert. Der junge Mann mit der gewinnenden Ausstrahlung hat beim Arbeiten gute Laune – „fast immer“, wie er erklärt. Stammgäste im Frare begrüßt Victor freudestrahlend mit Namen. „Hallo Stephan“, ruft er durch das Café und erinnert sich sogleich daran, dass Stephan gerne Pistazieneis isst. Auch seine eigenen Lieblingssorten verrät er bei der Gelegenheit: Erdbeere, Schokolade und „Cookie“. Er grinst. Dass es ein Eis gibt, das den Namen „Pokémon“ trägt, amüsiert ihn königlich, denn er ist ein Fan von Pikachu und den anderen japanischen Zeichentrickfiguren.

Wer Victor noch nicht kennt, der wird im Café durch Aufsteller auf den Tischen informiert: „Wir unterstützen Inklusion mit einem Arbeitsplatz einer Werkstatt für behinderte Menschen“, ist darauf zu lesen. Und: „An diesem Tisch bedient Sie Victor Hennemann. Er lebt mit dem Down-Syndrom. Schön, dass er Sie bedienen darf. Sie helfen ihm zu lernen und gut zu arbeiten.“ Weiter bittet das Eiscafé-Team um Verständnis, wenn es mal etwas länger dauern sollte oder kleine Fehler passieren: „Viel Freude mit Victor“.

„Victor gehört zum Eiscafé Frare einfach dazu“, sagt Inhaber Antonino Polizzi. Gäste und Mitarbeiter liebten ihn. Seit der heute 23-Jährige vor acht Jahren ein Schülerpraktikum in dem Eiscafé gemacht hat, ist der Funke übergesprungen, war er von dem Wunsch, dort zu arbeiten, nicht mehr abzubringen. Er habe damals darauf bestanden, sein Praktikum in die Ferien hinein zu verlängern, erzählt Viktors Mutter, Marion Hennemann.

Jetzt, nach Ende der Schulzeit, hat er sein berufliches Ziel erreicht: einen Arbeitsvertrag als Eiscafé-Mitarbeiter und 400 Euro Verdienst im Monat. Es handelt sich um einen sogenannten betriebsintegrierten Beschäftigungsplatz, refinanziert durch den LWV Hessen. „So wie Victor strahlt, macht ihm die Arbeit in der Außenstelle Eiscafé großen Spaß“, freut sich Andreas Schuller, Sozialarbeiter bei der Sozialgruppe Kassel, dem Träger der Kasseler Werkstatt, die Victors Hauptarbeitgeber ist. Victor komme auch gerne in die Werkstatt, wo er an zwei Tagen die Woche in der Küche eingesetzt ist, Brötchen schmiert, Essen ausgibt und Waffeln backt.

Das Down-Syndrom, das bei Victor diagnostiziert wurde, ist eine Genmutation, bei der das gesamte 21. Chromosom oder Teile davon dreifach vorhanden sind. Deshalb wird es auch als Trisomie 21 bezeichnet. Menschen mit Down-Syndrom weisen in der Regel typische körperliche Merkmale auf und sind oft in ihren kognitiven Fähigkeiten beeinträchtigt. Unter Umständen werden sie als geistig behindert eingestuft, manchmal weisen sie organische Schädigungen auf.

Trisomie 21 tritt in unterschiedlichen Ausprägungen auf. Bei dem aufgeschlossenen Victor führt es dazu, dass er zwar gerne kommuniziert, aber nur kaum verständlich redet. „Victor hat einen beschränkten Erzählhorizont und spricht nur downisch“, sagt Marion Hennemann, die von Beruf Heilpraktikerin mit dem Schwerpunkt Shiatsu ist, und lacht. Die Familienmitglieder – darunter vier Geschwister – verstünden ihn, andere nicht.

Rituale erleichtern das Arbeiten

Im Café hat man das Problem professionell gelöst, indem Victor den Gästen einen kleinen Schreibblock vorlegt, auf dem diese ihre Bestellung notieren. Die Kollegen führen sie am Tresen aus und Victor bringt sie zuverlässig an den Tisch. „Das funktioniert ausgezeichnet“, sagt Polizzi. Dass dafür ein bisschen Zeit draufgeht, sei für die meisten Gäste kein Problem.  Selbst wenn viel Betrieb ist, arbeite Victor ruhig und konzentriert. Wichtig seien für ihn überschaubare Tagesabläufe, die einem Muster folgen. Veränderungen verwirrten ihn. Alltägliche Handgriffe hat er eingeübt, Rituale erleichtern ihm das Arbeiten. Nach und nach und mit Geduld bringt ihm Polizzi Neues bei. Demnächst komme das Eiskugelformen dran. Das müsse diszipliniert eingeübt werden. 

Victor kommuniziert gerne und seine vielen Termine – er hat mit Schwimmen, Tanzen und der Fitnesssportart Tae Bo ein vollgepacktes Freizeitprogramm – verwaltet er übers Handy. Letztlich steht er über eine WhatsApp-Gruppe mit seiner Familie in regem Kontakt – auch wenn seine Beiträge manchmal reine Emoji-Botschaften sind. Inzwischen besucht Victor nur noch am Wochenende seine Eltern und wird dann von seiner Mutter mit viel Gemüse „gesund“ bekocht. Er lebt weitgehend selbstständig in einer Wohngemeinschaft unweit des Eiscafés. Dort wohnen bei Betreuung durch einen Erzieher der Baunataler Diakonie Kassel in einer alten Villa 13 junge Menschen mit geistiger Behinderung – einige davon mit Down-Syndrom – und üben hier ihren Alltag ein.

 Seinen Tagesablauf hat Victor im Griff. Mit Bus und Bahn fährt er zur Arbeit in die Kasseler Werkstatt und wieder nach Hause. Marion Hennemann und ihr Mann Stefan, der von Beruf Lehrer ist, sind davon überzeugt, dass ihr Sohn dank seiner Lebensfreude, seiner Tatkraft und seines freundlichen Wesens auch als Erwachsener gut durchs Leben kommen wird. Auf dem Weg zur Inklusion könne die Gesellschaft jedoch noch an der Akzeptanz und guten Rahmenbedingungen für Menschen mit geistiger Behinderung arbeiten, sagen sie. Nicht alle haben die Chance wie Victor, in ihrem Traumberuf arbeiten zu können und dabei so viel positives Feedback zu bekommen.

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