Eine ältere Frau begutachtet eine Nähmaschine.
Im Repair Café wird mit Freude gewerkelt.

Zauberhände schaffen zweites Leben

Im Hersfelder Repair Café trifft Inklusion auf Nachhaltigkeit

Die Kundin strahlt Martin an, sie kann es kaum glauben, dass er ihre alte Kaffeemühle mit wenigen Handgriffen wieder instandgesetzt hat. „Sie haben ja Zauberhände!“ Auch der 33-Jährige lächelt. So ein Erfolgserlebnis tut ihm gut. Der hochgewachsene junge Mann hat zwar eine Ausbildung zum Industriemechaniker absolviert, aber dass er im Bad Hersfelder Repair Café so viel Freude auslöst, ist keineswegs selbstverständlich.

Schon während der Lehre hat er gemerkt, dass er sich in einem gewöhnlichen Arbeitsumfeld schwer tut: „Ich passe da nicht rein“, sagt er und berichtet vom schwierigen Verhältnis zu den Eltern und neurologischen Problemen, die aber nicht richtig diagnostiziert seien. Wegen seiner Depression sei er in die Arbeitslosigkeit gerutscht. „Ich traue mir nichts zu und brauche eine Nische, um arbeiten zu können“, sagt er selbst.

DER LWV IST BEIM PROJEKT ALS FINANZIER MIT DABEI

Seit wenigen Monaten hat er diese Nische im neu eröffneten Repair Café in der Johannesstraße am Rande der Hersfelder Innenstadt gefunden. Die Einrichtung in einem hellen freundlichen Ladenlokal mit großen Fenstern zur Fußgängerzone ist ein Projekt des Vereins für Psychosoziale Hilfen im Kreis Hersfeld-Rotenburg „Die Brücke“. Mit anteiliger Finanzierung durch den Landeswohlfahrtsverband Hessen und der Stadt Bad Hersfeld ist er Träger des Cafés, das im Rahmen der sozialen Teilhabe Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen eine sinnvolle Beschäftigung bietet. Die Idee hierzu entstand in einem gemeinsamen Gespräch zwischen Bad Hersfelds Bürgermeisterin Anke Hofmann und dem geschäftsführenden Vorstand der Brücke, Kai Marschner. Durch das Repair Café werden sowohl Inklusion, als auch Nachhaltigkeit miteinander in Verbindung gebracht und verwirklicht.

Jeden Freitag von 10 bis 13 Uhr ist das Café derzeit geöffnet. Seit der Eröffnung im Februar brummt der Laden. Drei hauptamtliche Mitarbeiter stehen den Klienten und Kunden sowie ehrenamtlichen Helfern zur Seite. Sie unterstützen im Kundengespräch, geben eine erste Beurteilung der defekten Geräte ab und helfen mit Tipps für die Reparatur. Acht bis neun Menschen mit Beeinträchtigungen teilen sich die Arbeitsplätze. Jeweils etwa vier kommen freitags im Wechsel in die Johannesstraße. Die Reparatur ist kostenlos, aber eine Spende für die Arbeit der „Brücke“ ist gern gesehen.

EIN SCHRITT ZUM MINIJOB UND ZURÜCK IN DIE GESELLSCHAFT

„Ich kann mein technisches und handwerkliches Können einbringen“, erzählt Martin, „aber vor allem sammle ich Erfahrung in sozialer Interaktion.“ Zu lernen, wie man mit sich und der Umwelt umgeht, mit anderen Menschen ins Gespräch kommt, mit Kunden und Kundinnen ebenso wie mit anderen Menschen mit Behinderung, das sei für ihn ganz wichtig. „Vielleicht kann ich dann auch irgendwann den nächsten Schritt tun und einen Minijob bekommen“, hofft er. Zur Arbeit im Repair Café hat ihn sein Betreuer von der „Hilfe zur Selbsthilfe“ ermuntert. „Ich war am Anfang skeptisch, aber ich will meine Probleme doch angehen.“ Hier werde sein Selbstwertgefühl gestärkt und er bekomme eine klare Tagesstruktur.

Mit dem zweiten Gerät hat Martin an diesem Freitag nicht so viel Glück. Eine schwenkbare Tischlampe, die auf Berührung heller wird, hat ihren Geist wohl endgültig aufgegeben. Wolfgang Pfaff von der Sozialen Teilhabe schaut sich die Lampe auch noch einmal an, er ist Elektrotechniker und achtet gerade bei den Elektrogeräten auch auf die Sicherheit der Klienten und der Kunden, die ihre Geräte wieder abholen. Kabel, Stecker, Sicherungen, Schutzleiter dürfen keine Gefahr darstellen. Mit dem passenden Werkzeug unterstützt er Martin bei der Reparatur, aber an der Lampe ist nichts mehr zu retten.

Geräte, die nicht mehr zu reparieren sind, müssen von den Kunden wieder mitgenommen werden. Alte Dinge nicht gleich wegzuwerfen, sondern erstmal einen Reparaturversuch zu wagen, soll zwar der Umwelt dienen, ein Schrottplatz möchte das Repair Café aber nicht werden. „Wir bekommen zu gut 90 Prozent elektrische Geräte zur Begutachtung“, erzählt Pfaff, auch kleinere Reparaturen, etwas zum Schleifen oder Leimen, sind nachgefragt. Wenn möglich, wird alles noch am selben Vormittag repariert und die Kundinnen und Kunden können ihre Sachen wieder mitnehmen.

SCHWÄTZCHEN UND KAFFEE GEHÖREN ZUM SERVICE

Als Renner haben sich die beiden Nähplätze erwiesen. Hier sitzen an diesem Freitag zwei ehrenamtliche Mitarbeiterinnen und schauen sich alte Nähmaschinen an, bei denen der Faden nicht mehr richtig eingezogen wird oder sich ein Rädchen nicht ordnungsgemäß dreht. Zwischendurch greift Ute Westphal, eine ehemalige Erzieherin, die Wolfgang Pfaff für das Café geworben hat, auch immer wieder zu kleinen Näharbeiten, die Kunden gebracht haben, mal einen Reißverschluss reparieren, mal einen Saum nähen. „Ich habe mir nie so viel zugetraut, aber hier schaffe ich ganz viel“, erzählt sie. Das ältere Ehepaar, das eine Nähmaschine gebracht hat, ist voll des Lobes für Frau Westphals Einsatz. „Die Maschine ist zwar alt, aber viel zu schade zum Wegwerfen“, sagen sie und freuen sich über das „tolle Projekt“ in der Johannesstraße. Ehe sie ihr Gerät voll funktionstüchtig wieder einpacken, plaudern sie noch ein bisschen über die heutige Wegwerfgesellschaft. Denn ein Schwätzchen und ein Kaffee an der Theke gehören natürlich auch zum Service des Repair Cafés.

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