Auf Dachböden schlummern manchmal Dinge von besonderem Wert. Diese Erfahrung hat auch Dr. Dominik Motz, Archivleiter des Landeswohlfahrtsverbands Hessen, gemacht. Unter dem Dach des historischen Ständehauses in Kassel entdeckte er im Jahr 2017 zwei Holzkästen mit insgesamt 105 Negativ-Filmrollen. Der Inhalt: überraschend. Es handelte sich um alte Fotografien der LWV-Pressestelle, die vor allem die ersten Jahre nach der Gründung 1953 dokumentieren. Jetzt wurden die Aufnahmen, die trotz schlechter Lagerbedingungen in sehr gutem Zustand waren, digitalisiert und erstmals öffentlich zugänglich gemacht. „Die Fotografien sind eine hervorragende Ergänzung zu den Aktenbeständen, aus denen die Verbandsgeschichte auf ganz andere Weise erforscht werden kann“, sagt Motz.
SITZUNGEN, AUSFLÜGE UND PRIVATES INS BILD GESETZT
Auch für erfahrene Archivare ist ein solcher Zufallsfund spannend: „Obwohl die Rollen beschriftet waren, wussten wir zunächst nicht, was auf den Fotografien tatsächlich zu sehen war“, berichtet Johannes Christof, der das Digitalisierungsprojekt für das Archiv des LWV begleitete. Nach der ersten Sichtung habe festgestanden, dass es sich hier um Bilder mit historischem Wert handelt. Die Aufnahmen, die größtenteils zwischen 1953 und 1970 für die Pressestelle des LWV entstanden, dokumentieren sehr ausführlich die Anfangsjahre des Verbands.



Entsprechend vielseitig sind die Fotos. Manche illustrieren den Alltag in den Dienststellen des LWV, andere entstanden bei Verbandssitzungen oder offiziellen Veranstaltungen, bei Dienstjubiläen, Karnevalssitzungen, Gebäude-Einweihungen oder Betriebsausflügen. Sogar private Familienaufnahmen des damaligen LWV-Landesdirektors sind unter dem Bildmaterial. Die erstaunlichste Fotografie stammt aus dem Jahr 1957 und zeigt einen demolierten Dienstwagen (Opel) auf der Autobahn zwischen Frankfurt und Mannheim, nachdem dieser in einen Unfall verwickelt war. Eine Fotoserie aus dem Jahr 1965 verdeutlicht hingegen den Fortschritt, den die elektronische Datenverarbeitung seit dieser Zeit durchlaufen hat: Verwaltungsangestellte führen dort die Bedienung einer neuen Lochkartenmaschine der Firma IBM vor.
FOTOS ENTSTANDEN FÜR DIE ÖFFENTLICHKEIT
Gedacht waren diese Fotografien von Anfang an für eine Veröffentlichung. Seit 1956 gab die Pressestelle des Landeswohlfahrtsverbands zum Beispiel eine eigene Schriftenreihe heraus, in der über die Aufbauarbeit des Verbands und die Tätigkeitsfelder berichtet wurde. Große Neubauprojekte wie die Heilstätte Schotten oder das Jugendheim Staffelberg bei Biedenkopf wurden zudem mit Publikationen begleitet, die in Auflagen von bis zu 9000 Stück an Schulen, Behörden und andere Institutionen verteilt wurden. Auch ein eigenes Mitteilungsblatt für die Mitarbeitenden des LWV gab es von 1958 bis 2024. Dass viele der archivierten Bilder bereits in diversen Verbandszeitschriften publiziert wurden, habe die Erschließung der Fotos an vielen Stellen erleichtert, sagt Johannes Christof. Den Besuch einer LWV-Delegation beim Europäischen Gemeindetag in Cannes im Jahr 1960 habe man so sehr schnell identifizieren können – ebenso wie das Endspiel eines LWV-Fußballturniers am 19. Oktober 1966 in Gießen.


1750 FOTOGRAFIEN JETZT ONLINE ZUGÄNGLICH
Die Negativ-Filmrollen enthielten insgesamt 2432 Fotografien, die inzwischen mithilfe eines externen Dienstleisters digitalisiert wurden. 1750 von ihnen sind nun auch online zugänglich. „Wir hatten das Material vorab gesichtet und entschieden, welche Aufnahmen bedeutsam und archivwürdig sind“, erklärt Johannes Christof. Die meisten historischen Fotografien sind inzwischen über das Archivinformationssystem Arcinsys online recherchierbar. Sofern sie vorhanden sind, sollen die Fotografien perspektivisch auch mit den Datensätzen der Sachakten verlinkt werden. Vereinzelt konnten Bilder aufgrund von Persönlichkeitsrechten nicht veröffentlicht werden, sind aber bei begründetem Interesse gemäß den Vorgaben im Hessischen Archivgesetz direkt im LWV-Archiv einsehbar.



