Es ist neblig und es nieselt im Stiftungsforst von Kloster Haina. „Authentisches Wetter“, sagt Förster Nils Niemeyer dazu. Der Eigenbetrieb des Landeswohlfahrtsverbandes (LWV) Hessen steckt mitten in der Holzernte. Mehr als 8.000 Bäume hat der Förster mit roten Strichen markiert. Es sind vor allem Rotbuchen, die den Klimastress der vergangenen Jahre nicht mehr ausgehalten haben. „Buchenkomplexkrankheit“ heißt es im Fachjargon: Zu wenig Wasser, Sonnenbrand und irreversibel abgestorbene Feinwurzeln. Auf seinem Weg zu den Forstwirten, also den Waldarbeitern, deutet Nils Niemeyer auf tote Äste und fehlende Kronenspitzen. Wenn dieser Prozess einmal eingesetzt hat, müssen die Forstleute schnell reagieren. Vor allem, wenn Wanderwege und öffentliche Straßen in der Nähe liegen.
Vom Galgenberg bei Haina, wo Forstwirt Marvin Ilien die kranken Buchen fällt, schallt die Motorsäge herüber. Dieser Forst ist typisch für den Kellerwald, erklärt Niemeyer. Auf dem Berg stehen fast ausschließlich Rotbuchen, die wichtigste Baumart des insgesamt 7.500 Hektar großen Stiftungswaldes, der mehrere Naturschutzgebiete sowie größere Eichenvorkommen aufweist. Er liegt südlich des Nationalparks Kellerwald, der zu den Buchenurwäldern des UNESCO Weltnaturerbes zählt.
Nils Niemeyer ist seit 13 Jahren Revierleiter in Haina – einer von fünf Förstern im Stiftungsforst. Vorher war der gebürtige Nordhesse im Fichtelgebirge, der fränkischen Alb und der holsteinischen Schweiz als Förster tätig. 2011 wechselte er nach Haina. Ein vergleichsweise kleiner Betrieb, der größere Spielräume lässt. Seit knapp 500 Jahren gibt es den Stiftungsforst. Und es gilt bis heute, was Landgraf Philipp in der Urkunde von 1533 schrieb: Die Gewinne kommen sozialen Aufgaben zugute. Gingen sie früher an die Hohen Hospitäler, fließen sie heute in den Haushalt des LWV.
In dieser Saison werden in Niemeyers Revier nur noch etwa 8.000 Festmeter Holz geschlagen. Früher waren 12.000 Festmeter die Regel. Doch der Wald muss erst wieder nachwachsen. Die Forstleute haben harte Jahre hinter sich: „Es war teilweise kaum erträglich“, sagt Niemeyer. „Wir konnten oft nur noch reagieren.“ Nach den Dürrejahren von 2018 bis 2022 starben etwa 80 Prozent der Fichten, obwohl der Stiftungswald für seine nachhaltige Wirtschaft zertifiziert ist und schon seit den 1990er-Jahren keine Fichtenkulturen mehr angelegt. So eine Veränderung im Forst in so kurzer Zeit habe es in Deutschland noch nie gegeben, so Niemeyer. „Diese extremen Kalamitäten, also Schadenslagen, konnte sich in unserer Ausbildungszeit keiner vorstellen“, sagt der 44-Jährige.
Jetzt ist der Borkenkäfer weitgehend durch, die Flächen mit den toten Fichten sind abgeräumt. Doch Förster denken in Jahrzehnten, wenn nicht in Jahrhunderten. Deshalb wartet Nils Niemeyer erst einmal ab, ob sich die Flächen von selbst mit Birken, Ebereschen, Lärchen, Fichten und Eichen bewalden. „Dann lassen wir den Wald einfach wachsen“, sagt der Förster. Der Stiftungsforst setzt auf Mischwälder, die zum Standort passen, damit es bei zukünftigen Krankheiten keine Totalausfälle gibt. Wenn aufgeforstet wird, pflanzen sie neben Eichen auch Ahorne, Ulmen, Douglasien, Weißtannen und neuerdings sogar Esskastanien.
Auch Stürme machen zu schaffen
Aber auch die Stürme machen den Wäldern immer mehr zu schaffen: In der Nähe des Königsbaches holen Waldarbeiter vom Wind umgeworfene Fichten mit dem Harvester, der vollautomatischen Holzerntemaschine, aus dem Erlenbruchwald. In noch nicht einmal einer Minute greift sich die Maschine einen Baum, fällt ihn, entfernt die Äste, und zersägt ihn in fünf Meter lange Stücke, die am Wegrand aufgeschichtet werden.
Niemeyer bespricht sich mit Einsatzleiter Matthias Noll, bevor er weiter zur sogenannten „Waldinsel“ fährt. An dem beliebten Rastplatz zieht der aus dem Nachbarort stammende Rücker Manuel Schmidt mit der Rückemaschine, einem speziellen Fahrzeug mit Greifarm, dicke Buchenstämme aus dem Wald. Schmidt und Einsatzleiter Noll gehören zu Fremdfirmen, die diese Arbeiten im Auftrag der Stiftungsforsten durchführen. Auch die Holzrückearbeiten sind durch den Klimawandel komplizierter geworden. Früher gab es jeden Winter ein paar Wochen mit gefrorenen Böden. Dann konnte der Rücker die schweren Baumstämme aus dem Wald holen, ohne Schäden zu verursachen. Bei andauerndem Schmuddelwetter muss die Arbeit oft unterbrochen werden. Die vierachsige Rückemaschine mit den breiten Reifen würde zu tiefe Spurrillen im Wald und auf den Wegen hinterlassen.
Holzhackschnitzel für Biomasse-Heizwerk der Vitos Kliniken
Am Wegesrand liegen viele Haufen mit Stämmen. Größtenteils ist das Holz bereits verkauft. Es geht in die Furnier- und Bauindustrie, wird zu Spanplatten oder Brennholz. Ein Teil wird zu Holzhackschnitzeln für die Biomasse-Heizwerke der Vitos-Kliniken in Haina und Marburg. Jedes Jahr sparen sie damit rund sieben Millionen Kilo Kohlendioxid. Eine weitere Besonderheit des Stiftungsforsts – ebenso wie der Anfang der 1990er-Jahre gegründete Forstsamenbetrieb, für den auch Niemeyer Saatgut erntet.Â
Die Holzsaison dauert noch bis Ende März. Dann werden neue Mischkulturen gepflanzt. Auch die Jagdsaison geht am 1. April wieder los. Viele Male wird Nils Niemeyer auf den Hochsitz klettern, um gemeinsam mit anderen Jägern dafür zu sorgen, dass Rotwild, Rehwild und Wildschweine im Wald möglichst wenig Schaden anrichten. Wildkatzen sieht er dabei häufig. Der Stiftungswald bietet nämlich auch seltenen Tieren Unterschlupf: Schwarzstörche, Milane und Uhus brüten im Hainaer Forst. Wo sie zu finden sind, verrät der Förster aber nicht – und muss auch schon wieder weiter ins Sachen Holzernte.