Akten säubern, retten und bewahren - kein leichtes Geschäft.

„Das Eisen muss raus!“

Bestandserhaltung und Notfallvorsorge - Archivtag im Ständehaus

Beim Hessischen Archivtag, der jetzt im Ständesaal des Landeswohlfahrtsverbands Hessen stattgefunden hat, stand die Frage im Mittelpunkt, wie man den Bestand vor Katastrophen und physischem Verfall schützen kann. Der Einsturz des Kölner Stadtarchivs und der Brand der Anna-Amalia-Bibliothek in Weimar haben uns vor Augen geführt, wie schnell wertvolles Kulturgut verloren gehen kann. Das Archiv des LWV Hessen, das sich seit 2020 in einem Neubau am Kasseler Akazienweg befindet, geht hier mit gutem Beispiel voran.

Wer in die Geschichte des Landeswohlfahrtsverbands Hessen eintauchen will, muss unter die Erde, hinab in den Keller eines modernen Glasbaus steigen. Hier lagern die zentralen Unterlagen der Verbandsgeschichte – derzeit rund vier laufende Regalkilometer mit historisch und rechtlich bedeutsamem Schriftgut. Dokumente, Protokolle, Karten und Fotografien aus fünf Jahrhunderten, darunter auch zahlreiche Einzelfallakten aus der NS-Zeit.

KONSTANT 18 GRAD OHNE KLIMAANLAGE

Was sofort auffällt: Selbst bei hochsommerlichem Wetter ist es angenehm kühl. „Die Temperatur beträgt konstant 18 Grad, die Luftfeuchtigkeit 50 Prozent“, erklärt Archivleiter Dr. Dominik Motz. Das seien die besten Bedingungen, um Archivalien dauerhaft zu erhalten. Denn nicht nur Katastrophen seien eine Bedrohung für wertvolle Dokumente, sondern auch der Verfall des Materials. Eine Klimaanlage gibt es überraschenderweise nicht. Stattdessen wurde bei der Planung des Tiefenmagazins auf das Prinzip der passiven Klimatisierung gesetzt. Dabei werden durch die Trennung des Baukörpers von der Außenwelt und einen regelmäßigen Luftaustausch Temperaturschwankungen vermieden.

SÄUBERN, LÖSEN, METALL ENTFERNEN

Jedes Jahr wächst der Archivbestand um weitere 30 laufende Meter. Doch bevor Akten hier in speziellen Pappkartons eingelagert werden können, durchlaufen sie einige Stationen. „Ziel ist es, die Dokumente für die Nachwelt zu erhalten. Gleichzeitig gilt es, die Gesundheit der zukünftigen Nutzer zu schützen“, erklärt Dominik Motz. Denn oft seien Ordner von Schimmel, manchmal auch von Schädlingen befallen. Auch zusammenklebende Seiten seien keine Seltenheit. Externe Dienstleister übernehmen in diesen Fällen die professionelle Reinigung, technische Bearbeitung und Neuverpackung der Akten. Rostiges Metall kann das Material ebenfalls dauerhaft schädigen. Heftklammern und andere Metallteile werden deshalb in Handarbeit entfernt und gegebenenfalls durch Plastik ersetzt. „Das Eisen muss raus“, so der Archivleiter.

Wie aufwendig die Aufarbeitung wertvoller Dokumente sein kann, zeigt ein aktuelles Beispiel: Patientenakten aus dem Kalmenhof, der in der Zeit des Nationalsozialismus als Zwischenstation für die NS-Tötungsanstalt Hadamar genutzt wurde, waren bei einem Hochwasser stark beschädigt worden. „Viele Unterlagen waren mit Schlamm bedeckt und klebten aneinander“, berichtet der Archivleiter. Etwa die Hälfte der Akten seien inzwischen gereinigt und für die Einlagerung vorbereitet worden. „Für uns sind diese Patientenakten von unschätzbarem Wert, denn sie dokumentieren den Mord an behinderten und psychisch kranken Menschen“, macht Ulrike Gote, Erste Beigeordnete des LWV Hessen, deutlich.

MARKIERUNGEN FÜR DIE WERTVOLLSTEN STÜCKE

Solche Schädigungen durch Extremwetterereignisse könnten aufgrund des Klimawandels künftig zunehmen. Umso wichtiger sei es, Vorkehrungen zu treffen und Handlungsempfehlungen zu entwickeln, sagt Dr. Dominik Motz. Für das LWV-Archiv gebe es zum Beispiel inzwischen einen detaillierten Notfallplan, in dem die wichtigsten Archivalien örtlich vermerkt und rot markiert sind. „So wissen die Helfer auf einen Blick, welche Unterlagen zuerst gesichert werden müssen.“ Zu diesen wertvollen Stücken gehört auch das älteste Objekt im Magazin: eine Stiftungsurkunde aus dem Jahr 1533, in der Landgraf Philipp das damalige Kloster Haina in ein „Hohes Hospital“ für die Landbevölkerung umwandelte.

IM NOTFALL ZUSAMMENPACKEN

„Die Sicherung und Erhaltung historischer Zeugnisse sei eine dauerhafte Aufgabe für alle Kulturinstitutionen“, sagt Ulrike Gote: „Ohne Wissen der Vergangenheit gibt es kein Verständnis der Gegenwart und keine Gestaltung der Zukunft.“ In Nordhessen haben sich deshalb zwölf Institutionen aus den Bereichen Archiv, Bibliothek und Museum zu einem Notfallverbund zusammengeschlossen – mit dem Ziel, sich im Schadensfall gegenseitig zu unterstützen. Bei der Kasseler Feuerwehr wurden außerdem Notfallcontainer mit Materialien zur Bergung beschädigter Archivarien deponiert. Ob die theoretische Planung auch in der Praxis funktioniert, soll im Herbst bei einer gemeinsamen Übung durchgespielt werden.

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