Schulleiter Christoph Jost und Stufenleitern Nina Gölz von der Heinrich-Böll-Schule in Eltville stehen lachend vor einer Wand mit gemalten Bildern und schauen frontal in die Kamera.
Schulleiter Christoph Jost und Stufenleiterin Nina Gölz von der Heinrich-Böll-Schule in Eltville.

In der Schule gut mitkommen – trotz Krankheit

Neues Schuljahr hat auch an den LWV-Förderschulen begonnen

Das neue Schuljahr ist gestartet. Das betrifft auch die 15 LWV-Förderschulen in ganz Hessen. Wir stellen heute beispielhaft eine unserer Schulen vor, die Heinrich-Böll-Schule in Eltville.

Damit Kinder und Jugendliche, die einen längeren Klinikaufenthalt vor sich haben, den schulischen Anschluss behalten, gibt es Schulen für kranke Schülerinnen und Schüler. Für die jungen Patientinnen und Patienten der Vitos Kinder- und Jugendklinik für psychische Gesundheit Eltville findet der Unterricht an der Heinrich-Böll-Schule des LWV statt. Schon seit 1974 unterstützen Fachlehrkräfte die jungen Menschen während ihres Klinik-Aufenthalts.

Ein ganz besonderer Ort: die Heinrich-Böll-Schule in Eltville (alle Fotos: Martina Schüttler-Hansper).

Christoph Jost ist seit 2001 an der Schule tätig, seit 2018 ist er Schulleiter. „Wir sind zuständig für die vier Stationen der Klinik Rheinhöhe. Unsere acht Lehrkräfte unterrichten maximal 51 Schülerinnen und Schüler während ihres Klinik-Aufenthalts. Vorrangig in Mathematik, Deutsch und den Fremdsprachen, ferner in den Nebenfächern, Arbeitslehre und Berufsorientierung. Die Therapeuten der Stationen melden die Kinder und Jugendlichen bei uns an und geben eine Unterrichtsempfehlung, die je nach Erkrankung variieren kann“, erzählt Jost. „Vor Beginn des Unterrichts erfahren wir, welche Schule und Klassenstufe sie besuchen und die vom Therapeuten festgelegte Stundenzahl. Ausschlaggebend für uns ist immer die Diagnose. Kommt ein Schüler mit einer Depression zu uns, gehen wir natürlich anders heran, als bei einem Schüler mit einer psychotischen Erkrankung. Gleichzeitig haben wir auch einen Bildungsauftrag.“

KLASSEN MIT VERSCHIEDENEN ALTERSSTUFEN

Der Unterricht läuft ähnlich wie in Regelschulen ab, es gibt aber zwei Besonderheiten. „Wir haben sehr kleine Klassen und die Gruppen sind recht heterogen,“ sagt Anke Weingart, Lehrerin für Mathematik und Physik. „Zudem versuchen wir, den Kindern so weit wie möglich in ihrem Lernstoff entgegenzukommen. Wir sehen unsere Aufgabe darin, einen Weg zu suchen, um ihnen Wissen zu vermitteln. Verstehen sie etwas nicht, suchen wir einen zweiten, dritten oder vierten Weg, auch um ihnen Schule wieder als positiven Ort näherzubringen.“ Nina Gölz, seit 2019 Stufenleiterin und Lehrerin für Deutsch, ergänzt: „Seit der Corona-Pandemie unterrichten wir Schülerinnen und Schüler einer Station gemeinsam. Jede Station hat ihren eigenen Klassenraum. Das führt natürlich dazu, dass wir in einer Schulstunde Kinder von der fünften bis zur zehnten Klasse oder höher im Unterricht haben.“

Die Lehrkräfte der Klinik-Schule tauschen sich nicht nur untereinander und mit den Therapeuten aus, ebenso mit den Eltern und den Lehrerinnen und Lehrern der Stammschulen. „Ein Ziel ist es, schulische Rückstände möglichst zu vermeiden. Deshalb stehen wir in engem Austausch mit den Stammschulen. Auch die Wiedereingliederung planen wir gemeinsam, empfehlen gegebenenfalls Nachteilsausgleiche“, beschreibt Jost.

FÜNF JAHRZEHNTE VOLLER ENGAGEMENT UND FORTSCHRITT

1974 war die Schule noch viel kleiner. Es gab nur zwei Lehrer, die die Schüler auf ihren Stationen unterrichteten. „Für eigene, abgegrenzte Unterrichtsräume, die nicht mehr innerhalb der Stationen sind, haben die Lehrkräfte lange gekämpft“, erklärt Silke Blau, Deutsch-Lehrerin an der Klinik-Schule. Anlässlich des Jubiläums befasste sie sich ausführlich mit der Geschichte und Entwicklung der Schule. Die Schülerinnen und Schüler fertigten im Rahmen einer Projektwoche obendrein die beeindruckende Ausstellung „Rück-Blick(e)“ an, mit Kunstwerken, Zeitungsartikeln und Fotos zur Schule, zu Lehrkräften und zum Unterricht der letzten 50 Jahre. Außerdem gestalteten und befüllten sie kunstvolle, teils sehr persönliche Bilderrahmen.

Vom Unterrichtsalltag, bei dem die Kinder und Jugendlichen einer Station in einer kleinen Gruppe gemeinsam unterrichtet werden, profitieren sie, da sind sich die Lehrkräfte einig. „Sie können sich gegenseitig unterstützen und haben oft auch kein so intensives Leistungsdenken. Sie wissen, der andere kommt von einer anderen Schule, ist in einer anderen Klasse, ich muss mich nicht mit ihm vergleichen. Meiner Ansicht hilft das den Schülerinnen und Schülern sehr“, sagt Gölz. Katja Pohl, Lehrerin für Deutsch, ergänzt: „Viele, die draußen Schwierigkeiten haben, sich mündlich zu beteiligen, trauen sich das bei uns. Sie wissen, hier hat jeder sein eigenes Thema, seine Krankheit, sie sehen sich nicht als Konkurrenz.“ Von den Lehrkräften erfordern die heterogenen Gruppen eine hohe Flexibilität. „Man schaltete innerhalb einer Stunde auch mal zwischen dem Schulstoff der Oberstufe und dem der 7. Klasse um,“ schildert Pohl.

Namensgeber Heinrich Böll darf bei der Ausstellung natürlich auch nicht fehlen.

Blau ergänzt: „Auch um herauszufinden, wie die Schülerinnen und Schüler ticken, ist Flexibilität notwendig. Muss die Person eher gebremst werden und das Chillen wieder lernen. Oder muss man motivieren, damit sie ins Lernen kommt. Manche sind extrem kritisch mit sich selbst oder haben ein ganz niedriges Selbstwertgefühl.“

AUSTAUSCHEN, UNTERSTÜTZEN UND MUT MACHEN

Die meisten jungen Patientinnen und Patienten bleiben sechs Wochen in Therapie. In dieser kurzen Zeit einen Zugang zu den Schülern zu finden, kann herausfordernd für die Lehrkräfte sein. Insbesondere, wenn die negativen Erfahrungen mit Schule überwiegen. „Unser Anliegen ist es, den Kindern und Jugendlichen so viel Normalität wie möglich zu bieten. Ihnen zu zeigen, dass sie trotz ihrer Problematik bei uns auch Lernzuwachs haben können“, erklärt Gölz. „Man muss sich schnell auf neue Kinder einlassen und sie unter Umständen wieder schnell gehen lassen. Das ist interessant und spannend, manchmal auch schwer oder traurig. Wir können helfen, soweit es uns möglich ist. Wir müssen mit den Krankheitsbildern umgehen und uns dabei selbst schützen.“ Blau ergänzt: „Wir bekommen aber auch viel von den Kindern zurück. Etwa, wenn man sich beim Abschied drückt und sie sich vielleicht sogar bedanken. Sicher ein Grund, warum wir alle sehr gerne hier arbeiten.“

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