Die Schülerin krault die Labrador-Hündin vorsichtig am Hals.
Uma lässt sich vorsichtig streicheln (alle Fotos: Martina Schüttler-Hansper).

Respektvoll mit Menschen und Tieren

Uma wird in Riedstadt zur Schulhündin ausgebildet

Endlich Sommerferien! Für die Peter-Härtling-Schule, an der kranke Schülerinnen und Schüler unterrichtet werden und die eine von 15 LWV-Förderschulen ist, heißt es sechs Wochen wohlverdiente Pause vom Schulalltag. Auch Uma, die Schulhündin in Ausbildung, hat sich eine Auszeit verdient.

In den letzten Wochen stand für die Kinder der dritten und vierten Klasse Montagvormittags „Unterricht mit Hund“ auf dem Stundenplan. Lehrerin Annika Fischer unterrichtet die Schülerinnen und Schüler zusammen mit ihrem Labrador in einem sogenannten Mensch-Hund-Team. Aktuell geht Uma einen Tag in der Woche mit in die Schule. Meist in den Einzelunterricht im Bereich Leseförderung. Nach den Sommerferien startet das Team mit zwei Tagen in der Woche. „Das ist aber auch das Maximum. Obwohl Uma noch jung und spritzig ist, merkt man, dass es für sie sehr anstrengend ist“, beschreibt die Lehrerin.

KONTAKAUFNAHME NUR IN BEIDSEITIGEM VERSTÄNDNIS

Mit drei Kindern gleichzeitig im Klassenzimmer zu sein, ist neu für die Hündin in Ausbildung. Trotzdem wartet sie vorbildlich neben dem Pult auf ihren Einsatz. Anna (*) und Dean kennen die Regeln im Umgang mit Uma. Etwa, dass man sie auf ihrem Ruheplatz nicht stört oder immer nur ein Kind Kontakt mit ihr aufnimmt. Für Eileen ist Unterricht mit Uma und Annika Fischer noch neu und aufregend. Genau wie der Hund entscheiden darf, mit wem er Kontakt aufnimmt, darf Eileen entscheiden, ob sie mit Uma Kontakt aufnehmen möchte. „Erst mal nicht“, sagt sie leise.

Im Sitzkreis erzählt jetzt jedes Kind kurz über sein Wochenende. Anschließend halten sie gemeinsam den Wochentag, Tag, Monat und Jahr sowie die Jahreszeit an der Tafel fest. Anna kennt den Ablauf und traut sich gleich, die entsprechenden Zahlen und Bilder an die Tafel zu kleben. Auch Dean macht mit. Die Zwei laufen durch den Klassenraum. Die Hündin sitzt währenddessen ruhig neben dem Stuhlkreis.

Als Nächstes legt Annika Fischer eine Zeichnung mit einem Hund in die Mitte des Sitzkissenkreises. Gemeinsam benennen die Kinder die Körperteile des Hundes. Pfoten, Vorder- und Hinterläufe, Nase und vieles mehr. Sie sprechen über die Besonderheiten der Körperteile und erfahren, dass die Tiere wesentlich besser riechen können als Menschen. Anschauen lassen sich die Körperteile auch bei Uma.

FUNDIERTE AUSBILDUNG DES MENSCH-HUNDE-TEAMS WICHTIG

„Bis Dezember sind Uma und ich noch in einer Schulhundteam-Weiterbildung in Rüsselsheim. Wir durchlaufen zusammen verschiedene Themengebiete, etwa zu Theorie und Praxis tiergestützter Pädagogik, Grundlagen des Lernverhaltens von Hunden oder Körpersprache und Ausdrucksverhalten des Hundes“, erklärt Fischer. „Es werden auch Übungen zu den Themen durchgeführt, um beispielsweise Stresssignale unseres Hundes kennenzulernen und wahrzunehmen. Am Ende gibt es eine schriftliche Prüfung, außerdem wird die praktische Arbeit überprüft.“ Die Teilnahme am Unterricht ist schon während der Weiterbildung vorgesehen.

Für Anna, Eileen und Dean ist dann Einzelarbeit angesagt. Schnell suchen sich die Kinder eine Aufgabe zum Thema Hund aus. Auch Eileen findet etwas, dass sie gerne macht. „Ein Arbeitsblatt, bei dem ich lesen kann“, sagt sie zu ihrer Lehrerin und schnappt sich das Logikrätsel zu Hundenamen.

Während der Stillarbeit kann Uma mit den Kindern Kontakt aufnehmen. Auf Fischers Signal läuft der junge Labrador los. Anna, Dean und Eileen legen ihre Hände auf den Tisch und Uma darf an ihnen schnuppern. Anna und Dean haben zu Hause auch Hunde. Die schnuppernde Hundenase ist für sie keine große Herausforderung. Auch Eileen traut sich, die Hündin an sich schnüffeln zu lassen. Ein kleiner Erfolg. „In einer solchen Unterrichtsstunde geht es uns nicht nur um Wissensvermittlung, sondern auch darum, dass das Kind in dem Rahmen emotional wachsen kann. Es geht immer auch um sozial-emotionale Aspekte, wie Beziehungen aufzubauen“, betont Fischer.

DER HUND WERTET NICHT

Wichtig ist auch, „mutig zu sein, etwa beim Vorlesen, oder Vertrauen zu haben in die eigenen Fähigkeiten, mit einem Lebewesen zu interagieren. Über die Hunde kommt man leichter ins Gespräch mit Schülerinnen und Schülern, die sich verschließen vor Schule, vor der Lehrkraft, weil sie schon so viele schlechte Erfahrungen gemacht haben“, erklärt Schulleiterin Grit Philippi und ergänzt: „Die Kinder und Jugendlichen sind stolz und berührt, wenn ein Lebewesen Kontakt mit ihnen aufnimmt und sie einfach so akzeptiert. Wer zu uns in die Schule kommt, hat schon einen langen Leidensweg hinter sich. Da ist ja schon einiges gelaufen an Prävention, Hilfe, Unterstützung. Diese Teilhabe am Leben ist uns wichtig.“

Unterricht mit Hund gibt es an der Peter-Härtling-Schule seit 2009. „Mein Vizsla Willi wurde 2008 geboren. 2009, während seiner Ausbildung zum Schulhund, nahm ich ihn mit in den Unterricht. Genauso wie Frau Fischer heute unsere ‚Azubine‘ Uma mitbringt“, freut sich Grit Philippi. „Die Arbeit mit den Schulhunden ist in das Gesamtkonzept der Schule eingebettet, hauptsächlich im Schwerpunkt sinnliche Erfahrung, Wahrnehmung.“ Außer Uma gibt es an der Schule noch Flocke, eine weiße Schäferhündin, die ihre Weiterbildung bereits abgeschlossen hat.

AUF DIE SIGNALE DES HUNDES ACHTEN

Philippi, die auch 3. Vorsitzende vom Qualitätsnetzwerk Schulbegleithunde e.V. ist, achtet sehr darauf, wie die Mensch-Hund-Teams an der Schule arbeiten. „Allen Beteiligten, auch dem Hund, muss es bei der Schulhundearbeit gut gehen. Leider sieht man häufig noch, dass die Tiere einfach so in den Unterricht mitgenommen werden, ohne Weiterbildung. Untersuchungen etwa von Studierenden aus Leipzig zeigen aber, dass es den Hunden oftmals nicht so gut geht in der Schule. Weil die Menschen nicht ausreichend geschult sind und nicht auf die Körpersprache des Tieres achten, etwa bei solch sommerlichen Temperaturen.“

Zum Ausklang der Stunde und zur Entspannung für die Kinder und die Hündin schlägt Annika Fischer einen Spaziergang mit Stöckchen werfen und einem Bad für Uma vor. „Mit der Lage am Feldrand und dem Bach haben wir hier perfekte Bedingungen“, freut sich Fischer. Die Kinder genießen den kurzen Ausflug in die Natur. Alle drei werfen begeistert Stöcke für den Labrador ins Wasser. Auch Signale, Handzeichen oder kleine Tricks können sie ausprobieren. Beim Spaziergang mit Hund lässt es sich zudem einfacher miteinander reden. Für Anna ist nicht nur die Schulstunde zu Ende, sondern auch bald ihr Aufenthalt in Riedstadt. „Darf ich mich noch von Uma verabschieden?“, fragt sie die Lehrerin. Sie krault den Hundehals, wie sie es im Unterricht gelernt hat. Der Labrador blinzelt müde. Zeit für eine Pause.

(*) Die Namen aller hier im Text erwähnten und auf den Fotos abgebildeten Schülerinnen und Schüler sind aus redaktionellen Gründen geändert worden.

Hintergrund:

Die Peter-Härtling-Schule auf dem Gelände der Vitos Kinder- und Jugendklinik für psychische Gesundheit Riedstadt ist eine Schule für kranke Schülerinnen und Schüler. Das Kollegium unterrichtet rund 120 Kinder und Jugendliche aller Schulformen und Jahrgangsklassen, von der Vorklasse bis hin zu Jugendlichen der Adoleszentenstation.

Schulhunde können bei Schülerinnen und Schülern Türen öffnen, die für Lehrkräfte oft verschlossen bleiben. Zudem lassen sich folgende Ziele erreichen:

– Stress und Ängste in der Schule reduzieren
– Vertrauen und Vermittlung von Sicherheit aufbauen
– Empathievermögen und Verantwortlichkeit entwickeln
– Defizite in Basiskompetenzen aus dem Bereich Wahrnehmung und Kommunikation aufarbeiten
– Aktivität und Motivation im Unterricht erhöhen
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