Kunstunterricht an der Johann-Peter-Schäfer-Schule in Friedberg. Eine LWV-Schule für blinde und sehbehinderte Kinder und Jugendliche. Foto: Rolf K. Wegst

Die Schule mit dem lachenden Auge

Wo der weiße Langstock zum Alltag gehört

Ende Mai startet der Hessentag in Fritzlar und der LWV Hessen wird wieder mit einem eigenen Messestand dabei sein. Kooperationspartner sind dieses Mal die LWV-Schulen und die Frühförderstellen. Stellvertretend für die zahlreichen Einrichtungen stellen wir heute den Alltag an der Johann-Peter-Schäfer-Schule in Friedberg vor.

Sophie ist von Geburt an blind. Doch wenn die 17-Jährige vom Unterricht kommt, ist sie so schwungvoll unterwegs, dass die neben ihr gehenden Sehenden einen Schritt zulegen müssen. Ihr weißer Langstock schlägt klingend gegen Bänke und Mülltonnen, die ihr auf dem Weg zum Internat als Orientierung dienen. Gelernt hat sie das im Mobilitätstraining, das zum selbstverständlichen Angebot der Schule des LWV gehört. Die Johann-Peter-Schäfer-Schule in Friedberg wird von Kindern und Jugendlichen aus ganz Mittelhessen besucht, die sehbehindert oder blind sind. Zudem betreut die Schule mehr als 400 Schülerinnen und Schüler, die inklusiv beschult werden.

Sophie zum Beispiel ist schon seit der ersten Klasse in dieser Schule. Sie gehört zu den Jugendlichen, die den Bereich geistige Entwicklung besuchen – das ist gut die Hälfte der insgesamt 164 Schülerinnen und Schüler, die hier von der Vorklasse bis zum Realschulabschluss oder dem Wechsel in eine Nachfolgeeinrichtung unterrichtet werden.

„SO SELBSTSTÄNDIG WIE MÖGLICH LEBEN“

„Die Kinder und Jugendlichen sollen später so selbstständig wie möglich leben können“, sagt Erzieherin Tanja Zopf-Camarda. Sophie ist bereits so fit, dass sie allein in die Stadt gehen kann. Alltägliches wie Anziehen, Waschen, Hausarbeit und Essen klappt – mit etwas Unterstützung – auch gut. So stellt ihr die Sozialpädagogin im Internat die Schüssel mit dem Chili con Carne „auf die 12“. Dann weiß die junge Frau, wo die Schüssel steht, aus der sie sich bedienen kann. Neben ihr sitzt ihr guter Freund Dusan, mit dem sie jeden Abend in ihrer Wohngruppe italienische Musik hört. „Wir sind Heimat und Lebensmittelpunkt für unsere Schüler“, sagt Konrektor Thomas Loscher. Die Kinder und Jugendlichen sollen sich hier wohlfühlen, dazu passt auch das neue Logo der Johann-Peter-Schäfer-Schule: ein lachendes Auge prangt an den Türen und Fenstern.

 Aber zurück zu Sophie. In der Klasse zeichnet sich die 17-Jährige vor allem durch ihre soziale Ader aus: „Sie ist ein unglaublich mitfühlender Mensch, ein Sonnenschein“, erzählt Fachkraft Katrin Jünger. Im Morgenkreis sitzt sie neben der schwer mehrfach behinderten Marie. Sie bemerkt, wenn es Marie nicht gut geht und versucht, unruhige Mitschüler zu beruhigen.

IN BIO DREHT SICH HEUTE ALLES RUND UMS THEMA SCHAF

Ihre schulischen Leistungen sind im Laufe der Zeit immer besser geworden. Sie kann zwar nicht lesen und schreiben, versteht aber den Textinhalt und gleicht vieles mit ihrem guten Gedächtnis aus. Im Unterricht beteiligt sie sich lebhaft. In Biologie ist heute das Schaf an der Reihe: Die sieben Jugendlichen der Klasse befühlen ein echtes Schaffell, hören die Töne von Lämmchen und lernen Worte wie Blöken, Hammel und Euter. Sophie kann das Blöken super nachahmen.

Am liebsten würde sie in Zukunft mit schwer behinderten Kindern arbeiten. Realistisch ist das aber nicht, wissen die Lehrkräfte. Voraussichtlich wird sie nach Abschluss der Schule im kommenden Jahr in eine Werkstatt wechseln. Hauswirtschaft oder Gärtnern könnte passen. Vielleicht ergibt sich aber auch etwas anderes.

 Die Johann-Peter-Schäfer-Schule hat aber auch mehr als 40 Kinder und Jugendliche, die schwer mehrfach behindert sind. Sie sitzen im Rollstuhl, können sich kaum selbstständig bewegen und sich sprachlich oft nicht äußern. Sie dennoch zu verstehen, gehört zu den „spannenden Herausforderungen“ für die Lehrkräfte, sagt Konrektor Loscher: „Wir müssen mit viel Kreativität ganz genau hinhören.“ Das bedeutet aber auch, dass sehr kranke Kinder unter den Schülern sind, die manchmal aufgrund ihres Krankheitsbildes auch sterben. Viermal passierte das im vergangenen Jahr, dann sind die Lehrkräfte und die Schulgemeinschaft ganz besonders gefordert, diese Situationen zu meistern. Die Schulleitung hat dafür ein besonderes Konzept mit Trauerkoffer, Erinnerungsrunden und Coachings.

FRANZÖSISCH LERNEN FÜR DIE KLASSENFAHRT NACH PARIS

Ein großer Teil der Jugendlichen macht aber auch Haupt- und Realschulabschlüsse. Dunja R. zum Beispiel sitzt gerade im Französisch-Unterricht. Die Schülerinnen und Schüler haben spezielle Computerarbeitstische mit Geräten für Brailleausgabe (spezielle Schrift für blinde und stark sehbehinderte Menschen) und Sprachunterstützung. Sie üben korrekte Fragestellungen auf Französisch. Schließlich wollen sie im Juli nach Paris.

Dunja ist seit zweieinhalb Jahren Schulsprecherin. Die sehbehinderte junge Frau war sogar Mitglied im Kreis-Schüler-Vorstand der Wetterau. „Meckern kann ja jeder“, sagt die 17-Jährige: „Ich möchte Veränderungen anstoßen, wenn etwas nicht so gut klappt.“ Großes Thema an der Johann-Peter-Schäfer-Schule: Die Handynutzung in den Pausen, für die sich Dunja und ihre Mitschüler eingesetzt haben. Nach einer von Schulungen begleiteten Probephase stellte sich heraus, dass die Jugendlichen auch nach der Freigabe nicht so stark am Handy hängen, wie von den Erwachsenen befürchtet. Inzwischen dürfen Jungen und Mädchen ab der 5. Klasse während der großen Pause ihre Handys anschalten. Auf Initiative der Schülervertretung gibt es auch Binden und Tampons in den Frauen-Toiletten – finanziert von den Lehrkräften.

BERUFSWUNSCH: JURISTIN ODER LEHRERIN

Musik spielt an der Schule eine große Rolle. Schulleiterin Verena Trebels berichtet von sehr begabten Kindern und Jugendlichen: „Viele haben ein absolutes Gehör“, erzählt sie. Deswegen gehört Musik in jeder Unterrichtsphase dazu. Dazu gibt es einen Chor, eine Band und eine umfassende Ausstattung. Aber auch Sport ist wichtig, vor allem Goalball. Eine beliebte Ballsportart von Menschen mit einer Sehbeeinträchtigung oder Blindheit. Dunja ist Mitglied der Jugendnationalmannschaft im Goalball und war deshalb im vergangenen Jahr bei der Jugendweltmeisterschaft in Brasilien. Nach ihrem Realschulabschluss im Sommer wird sie auf die Marburger Blindenstudienanstalt wechseln, wo sie Abitur machen möchte. Sie würde gern Juristin oder Lehrerin werden.

Lernen Sie gerne selbst die Vertreterinnen und Vertreter der Schule „mit dem lachenden Auge“ und der anderen Einrichtungen des LWV kennen. Kommen Sie zum Stand des LWV auf dem Hessentag in Fritzlar, probieren Sie Spielangebote der Frühförderung und der Förderschulen aus und informieren Sie sich.                        

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