Die Inklusionsberaterin steht in einer Werkhalle und spricht mit dem Geschäftsführer einer Firma.
"Meine Tätigkeit besteht vor allem aus Akquise." Inklusionsberaterin Natalia Franz vor Ort in einem Betrieb im Beratungsgespräch.

„Über Arbeit funktioniert auch Teilhabe“

Unterwegs mit Natalia Franz, Fachberaterin für Inklusion

„Das ist ein Job, wie ich ihn mir immer gewünscht habe“, sagt Natalia Franz fröhlich. „Ich nerve beinahe schon alle Leute, weil ich ständig von meiner Arbeit rede.“ Denn die sei befriedigend, sinnstiftend und sozial und mache sie „rundum glücklich“. Die Tätigkeit, von der die 32-Jährige so schwärmt, lautet „Fachberatung für Inklusion“ bei der Industrie- und Handelskammer (IHK) Kassel-Marburg und wird zum Großteil vom Landeswohlfahrtsverband (LWV) Hessen finanziert. Hinter der bürokratischen Bezeichnung steht das handfeste Ziel, die Mitgliedsbetriebe der IHK Kassel-Marburg bei der Ausbildung, Neueinstellung und Weiterbeschäftigung von schwerbehinderten Menschen zu unterstützen.

Zur Aufgabe von Natalia Franz gehört es, Überzeugungsarbeit bei den Betrieben zu leisten, damit diese Menschen mit Behinderung einstellen oder weiter beschäftigen. Sie sorgt dafür, dass es – für beide Seiten – am Arbeitsplatz rund läuft. Dabei geht es auch um Aufklärung darüber, welche Unterstützung oder finanziellen Leistungen Betriebe erhalten können, wenn sie schwerbehinderte Menschen beschäftigen. Franz hat festgestellt: „Da besteht noch großer Informationsbedarf.“

HEBEHILFEN ERLEICHTERN ARBEIT

Auch Alexander Binder, Betriebsleiter der CNC Uniflex Metalltechnik GmbH in Großalmerode (Werra-Meißner-Kreis), einer metallverarbeitenden Firma, die Bauteile für Hydraulik produziert, die in die ganze Welt exportiert werden, machte große Augen, als vor einiger Zeit Vertreter des LWV Hessen Integrationsamts auf ihn zukamen, um ihn darüber zu informieren, welche Zuschüsse er zur behinderungsgerechten Arbeitsplatzgestaltung, z. B. durch Anschaffung von entlastenden Maschinen, erhalten kann. Das ließ sich Binder, der in seinem Betrieb zwei schwerbehinderte Menschen beschäftigt, nicht zweimal sagen. Begeistert präsentiert er Natalia Franz jetzt das Resultat und die technischen Neuerungen in der Werkhalle: zwei große Hebehilfen mit Kran und Hochhubwagen, die das Hantieren mit schwer beladenen Paletten deutlich erleichtern. Bücken ist bei diesem Arbeitsgang nicht mehr nötig und auch die Bedienung ist handlich und unkompliziert. Konkret ist damit bei Uniflex ein Arbeitsplatz ausgestattet, an dem ein 53-Jähriger tätig ist, der nach einer Krebserkrankung wieder arbeitet. „Die Hebehilfe ist eine große Erleichterung für ihn“, sagt Alexander Binder. Und darüber freuen sich auch alle anderen 30 Beschäftigten vor Ort. 

Der gesetzliche Hintergrund besagt: Private und öffentliche Arbeitgeber mit mindestens 20 Arbeitsplätzen müssen auf wenigstens 5 Prozent dieser Plätze schwerbehinderte Menschen beschäftigen. Wird diese Zahl nicht erreicht, besteht die Pflicht, eine sogenannte Ausgleichsabgabe zu zahlen. Über die Hälfte der Betriebe in Deutschland kommt der Vorgabe zur Beschäftigung nicht oder nur teilweise nach und zahlt die Abgabe. Dieses Geld bleibt im Kreislauf und fließt wieder in andere Betriebe zurück, wo es ausschließlich „zur Förderung der Teilhabe schwerbehinderter Menschen“ und „begleitende Hilfen im Arbeitsleben“ verwendet wird. Das kann die Finanzierung von Maschinen sein, die Arbeitsprozesse körperlich erleichtern, aber genauso gut eine Fortbildung der Beschäftigten in Gebärdensprache, weil zum Beispiel die neue Kollegin oder der neue Kollege gehörlos ist. „Das Spektrum ist riesengroß“, sagt Natalia Franz und: Der Kreativität sind keine Grenzen gesetzt, wenn am Ende als Ergebnis eine Erleichterung des schwerbehinderten Arbeitnehmers an seinem Arbeitsplatz steht und nebenbei dieser oft auch betriebswirtschaftlicher gestaltet werden kann. Eine Win-Win-Situation.

INTEGRATIONSAMT HILFT WEITER

Zuständig für diese Abläufe ist das Integrationsamt beim LWV Hessen. Auch die Stelle von Franz als Inklusionsberaterin bei der IHK Kassel-Marburg, wird zum großen Teil über das Amt finanziert. „Indem ich bei der IHK als Fachberaterin Inklusion eingesetzt bin, kommt das Integrationsamt seiner gesetzlichen Pflicht nach, bei den Kammern entsprechende Ansprechpartner zu benennen“, erläutert Natalia Franz ihren Arbeitsplatz.

Studiert hat Franz, die in einem Dorf im Vogelsbergkreis aufgewachsen ist, Politikwissenschaften und Soziologie an der Uni Kassel. Bis sie im Juni 2023 bei der IHK anfing, habe sie – auch um ihr Studium zu finanzieren – „extrem viele berufliche Erfahrungen gesammelt“, sagt sie: sei es in der Gastronomie oder in der Uni-Verwaltung, in der Produktion und dem Lager, als Sachbearbeiterin bei einem Bildungsträger oder als Tutorin für Studierende. Neben ihren Jobs war Franz stets sozial und politisch im Ehrenamt engagiert, etwa im Studierendenparlament. „Heute profitiere ich von meiner Praxiserfahrung.“ Sie weiß, wovon sie spricht, wenn sie mit Arbeitgebern und -nehmern zu tun hat. Der beste Zeitpunkt, um die Betriebe zu kontaktieren, sei für sie, wenn diese öffentlich nach Mitarbeitern suchten. Dann böte sich eine elegante Gelegenheit, um nachzufragen, ob diese Stellen auch mit Schwerbehinderten besetzt werden können.

„BEHINDERTE MENSCHEN MEIST BESONDERS ENGAGIERT“

Eine „beglückende“ Zusammenarbeit erlebt Natalia Franz diesbezüglich mit der Firma OMS Antriebstechnik GmbH in Cornberg (Kreis Hersfeld-Rotenburg). Geschäftsführer Thomas Fischer und Personalchefin Silke Dittmeier stehen der Beschäftigung schwerbehinderter Menschen positiv gegenüber. In dem 1930 gegründeten und von einer Eigentümerfamilie geführten Betrieb, der weltweit Antriebsmaschinen zum Beispiel für Rolltreppen im Einsatz hat, arbeiten bereits jetzt fünf schwerbehinderte Menschen (von 58 Beschäftigten am Standort Cornberg). „Wir machen da keinen Unterschied und stellen fest, dass sich Menschen mit Beeinträchtigung häufig besonders viel Mühe geben“, sagt Fischer. Jetzt wird es allerdings auch für den Weltmarkt-Player OMS eine Premiere geben: mit der von Franz vermittelten Zusammenarbeit mit den Sozialen Förderstätten e.V. in Bebra und der Schaffung von „betriebsintegrierten Beschäftigungsplätzen (BiB)“. BiB bedeutet in diesem Fall konkret, dass aus der Werkstatt für behinderte Menschen demnächst zwei Arbeitsplätze in die Produktionshallen von OMS verlagert werden. Die ersten Vorstellungsgespräche stehen an. „Wir freuen uns sehr darauf“, sagt Thomas Fischer. Er erhofft sich, dass in Zeiten großen Facharbeitermangels seine Metallarbeiter im Betrieb, die Dreher, Zerspaner und Fräser, von den neuen Kollegen aus den Werkstätten in ihrer Arbeit entlastet werden.   

„Meine Tätigkeit besteht vor allem aus Akquise“, resümiert Natalia Franz. Allerdings vermittelt sie keine konkreten Personen in den Arbeitsmarkt, denn das ist am Ende Aufgabe der Bundesagentur für Arbeit oder – bei BiB-Plätzen – der entsprechenden Werkstatt für behinderte Menschen. Für die Kosten eines BiB kommt der LWV Hessen als überörtlicher Träger der Eingliederungshilfe auf. Dass sie in ihrer Tätigkeit nicht nur verwaltet, sondern auch gestalten kann, dass sie Gespräche führt, die konstruktiv sind und Gutes bewirken – das mache ihr Freude. Denn über Arbeit, davon ist Franz überzeugt, „funktioniert auch Teilhabe“.

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