Werner Puchinger, Leiter des Regionalmanagements Soziale Entschädigung beim LWV Hessen (Foto: Lothar Koch)

Psychische Gewalt im neuen SGB XIV berücksichtigt

Interview mit Werner Puchinger, Leiter des Regionalmanagements Soziale Entschädigung beim LWV Hessen

Attentate wie die Amokfahrten in Berlin und Volkmarsen oder der Anschlag in Hanau haben die notwendige Reform der „Kriegsopferfürsorge“ offensichtlich gemacht. Das ist nun geschehen: Am 1. Januar 2024 ist ein gänzlich neues Recht der Sozialen Entschädigung, gebündelt im neuen Sozialgesetzbuch (SGB) XIV, in Kraft getreten. Es fasst alle bisherigen gesetzlichen Grundlagen für Kriegsopfer, Impfgeschädigte und Opfer von Gewalttaten zusammen.

Was genau meint „Soziales Entschädigungsrecht“? Wie hat es sich entwickelt?

Am Anfang der Sozialen Entschädigung stand der Wunsch der Bundesrepublik Deutschland, für die Opfer der beiden Weltkriege zu sorgen. Dafür wurde 1950 das Bundesversorgungsgesetz (BVG) für Kriegsgeschädigte sowie deren Angehörige und Hinterbliebene verabschiedet. Es stellte über Jahrzehnte die zentrale Vorschrift des Sozialen Entschädigungsrechts dar – das sich aber weiterentwickelte: Auch die Opfer von Gewalttaten erhielten mit dem Opferentschädigungsgesetz (OEG) ab 1976 einen Anspruch auf Leistungen. Das OEG gilt grundsätzlich für alle, die einen Gesundheitsschaden in Folge einer Gewalttat erleiden, und Hinterbliebene.
Außerdem gilt das BVG für die Entschädigung von Soldaten, Zivildienstleistenden, Impfgeschädigten, politischen Häftlingen und Opfern des Unrechts in der ehemaligen DDR. Das historisch gewachsene Rechtsgebiet wurde damit immer umfangreicher und unübersichtlicher.

Das hat sich mit dem neue SGB XIV nun verbessert?

Ja, nachdem viele Beteiligte und Betroffene eine Zusammenführung des Sozialen Entschädigungsrechts gefordert haben. Außerdem sollte es modernisiert und an die veränderten gesellschaftlichen Entwicklungen angepasst werden. Gerade bei den Opfern von Gewalttaten hat sich in der Praxis gezeigt, dass eine schnellere und zielgerichtetere Unterstützung nötig ist. Unmittelbarer Auslöser hierfür war der Terroranschlag mit einem LKW auf dem Breitscheidplatz in Berlin am 19. Dezember 2016. Dessen Auswirkungen auf die Opfer fielen bis dahin noch nicht unter den Tatbestand des OEG.

Welche Entschädigungstatbestände sind neu im SGB XIV?

Der Schwerpunkt lag lange Zeit auf physischen Schäden. Psychische Gewalt, beispielsweise bei sexualisiertem Missbrauch oder der Vernachlässigung von Kindern, kann jedoch ebenso schwere gesundheitliche Schäden verursachen. Eine Neufassung der Sozialen Entschädigung sollte daher auch solche Ereignisse angemessen berücksichtigen. Sofortmaßnahmen, wie Leistungen von Trauma-Ambulanzen, können dank schneller psychotherapeutischer Unterstützung nach einem traumatischen Ereignis eine psychische Schädigung ganz verhindern oder einer Verschlechterung entgegenwirken. Auch eine Unterstützung bei der Teilhabe am Arbeitsleben oder im sozialen Umfeld spielt für Berechtigte eine große Rolle, um möglichst schnell wieder in ihr normales Leben zurückkehren zu können.
Diese Wünsche und Ziele mündeten in das Sozialgesetzbuch XIV als Kernstück des neuen Sozialen Entschädigungsrechtes. Mit den Schnellen Hilfen wurden niedrigschwellige und unbürokratische Unterstützungsangebote geschaffen, die ohne langwierige Prüfungen in Anspruch genommen werden können. Fallmanagerinnen und Fallmanager der Versorgungsämter können Anspruchsberechtigten zudem dabei helfen, nötige Anträge zu stellen und die Unterstützungsleistungen koordinieren.

Für welche Leistungen ist der LWV Hessen zuständig?

Der Fachbereich Soziale Entschädigung des LWV kann – wenn der Anerkennungsbescheid eines Versorgungsamtes vorliegt – weitere Unterstützungsleistungen für Geschädigte und eingeschränkt auch für Hinterbliebene erbringen. Darunter fallen zum einen Leistungen zur Teilhabe: am Arbeitsleben, an Bildung und die soziale Teilhabe. Hierzu gehören auch Leistungen für geschädigte Kinder und Jugendliche. Diese Leistungen, und das ist neu, werden unabhängig vom Einkommen und vom Vermögen erbracht. Zum andern werden Leistungen bei hochgradiger Sehbehinderung, Blindheit und Taubblindheit gewährt. Sie stehen Betroffenen zu, wenn die erlittene Gewalttat ursächlich für die Beeinträchtigung ist.
Zum Spektrum gehören außerdem besondere Leistungen im Einzelfall: zur Sicherung des Lebensunterhaltes als Existenzgrundlage, Leistungen zur Förderung einer Ausbildung durch die Übernahme von BAFÖG-Darlehen oder Leistungen zur Weiterführung des Haushalts, damit Betroffene in ihrem gewohnten Lebensumfeld bleiben können.
Bei den Leistungen in sonstigen Lebenslagen wird besonders auf die Art und Schwere der Schädigung eingegangen. Als spezielle Hilfe können zum Beispiel die Kosten für einen Wohnortwechsel nach einer Gewalttat oder auch für den Kauf von Einrichtungsgegenständen übernommen werden. Auch Leistungen für den Besuch von Selbsthilfegruppen oder für die Namensänderung sind möglich.

Wie viele Menschen werden vom LWV unterstützt?

Der Fachbereich Soziale Entschädigung ist derzeit für über 1.000 Menschen Ansprechpartner und Leistungserbringer.

Weitere Informationen und Kontakt unter www.lwv-hessen.de/lwv-politik/verwaltungsstruktur/soziale-entschaedigung/

Die Fragen stellte Petra Schaumburg-Reis

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