Am 23. September ist Internationaler Tag der Gebärdensprache. Einmal mehr wird dann auch für hörende Menschen die Aufmerksamkeit auf diese visuell-manuelle Sprache gelenkt. Sie besteht aus Handzeichen, Mimik und Körperhaltung und richtet sich zur Kommunikation vor allem an gehörlose und hörgeschädigte Menschen. Laut Definition des Gehörlosen-Bundes ist die Deutschen Gebärdensprache (DGS) eine natürlich entstandene, vollwertige Sprache. Seit Mai 2002 ist ihre bundesweite Anerkennung im Behindertengleichstellungsgesetz verankert.
FÜHRUNGEN DURCHS HISTORISCHE STÄNDEHAUS SIMULTAN ÜBERSETZT
Auch die Besucherinnen und Besucher der Kasseler Museumsnacht im Ständehaus des LWV – dort gab es Führungen durch das Gebäude und eine Karikaturenausstellung des Zeichners Phil Hubbe – konnten jetzt von dieser eindrucksvollen, tänzerischen Sprache einen Eindruck gewinnen. Insgesamt drei Dolmetscher für Gebärdensprache hatte die Stadt Kassel eigens für die Museumsnacht engagiert, um auf Wunsch in den 50 geöffneten Museen und Kultureinrichtungen übersetzen zu können.



Im Ständehaus ist die staatlich geprüfte Dolmetscherin für Gebärdensprache Pia Kröner im Einsatz. Sie steht am Sitz des Landeswohlfahrtsverbands Hessen an der Seite von LWV-Sprecher Bernd Bark, der den rund 40 interessierten Gästen, die Geschichte des imposanten Gebäudes im Rahmen einer Führung nahebringt. Bei dem 1836 eröffneten Haus handele es sich um das erste Bauwerk in Hessen, das eigens für ein Parlament errichtet worden ist, erklärt er. Am Anfang habe hier die kurhessische Ständeversammlung getagt. „Es sieht heute nicht mehr so aus, wie es nach den Plänen von Julius Eugen Ruhl im Stil der italienischen Hochrenaissance errichtet wurde“, leitet er über zu den vielen architektonischen Veränderungen, die das Haus erfahren hat.
GESTIK UND MIMIK ALS EIGENE SPRACHE
Die Gäste hören konzentriert zu. In der ersten Reihe im Ständesaal sitzt Dieter Dahmen aus Schwalmstadt. Er ist hörbehindert und trägt ein Hörgerät. Sein aufmerksamer Blick ruht nicht auf dem Redner, sondern auf Pia Körner. Obwohl sich die Gebärdensprache für Unkundige nicht ohne weiteres erschließt, ist es spannend zu beobachten, wie Informationen über Gestik und Mimik vermittelt werden. Außenstehende fragen sich, wie Körner wohl Begriffe wie „konstitutionelle Monarchie“ übersetzt, oder die Funktion des „höheren Kommunalverbands“ LWV und dessen „Kerngeschäft“, die Eingliederungshilfe, zeitgleich zur Führung erklärt. Doch alle Informationen scheinen bei dem hörbehinderten Mann verständlich anzukommen. Sichtlich interessiert beteiligt er sich sogar an einer Publikumsdiskussion, stellt Fragen und bekommt Antworten – simultan übersetzt von Pia Körner.



Die DGS ist übrigens keine übersetzte Form des Deutschen, sondern eine Sprache mit eigener Grammatik, Syntax und Wortschatz, die sich von der Laut- und Schriftsprache deutlich unterscheidet. Jede Gebärde besteht aus einem Zusammenspiel von Handformen, Kopf- und Körperhaltung, Mundbild und Mimik, weshalb das Gesicht zum Sprechen ebenso wichtig ist wie die Hände. Zusätzlich gibt es ein Fingeralphabet, mit dem einzelne Buchstaben dargestellt werden – zum Beispiel für Namen.
MENSCHEN MIT BEHINDERUNG MITTENDRIN
„Ich finde dieses Angebot für Hörbehinderte klasse“, sagte Museumsnachtbesucher Jürgen Heil, der mit seiner Frau Heike ins Ständehaus gekommen ist. Es sei wichtig, alles zu tun, um behinderte Menschen nicht auszuschließen. Das ist auch der Museumsnacht, die immer am ersten Samstag im September stattfindet, wichtig. Ihr Leitmotiv: „Kulturelle Teilhabe“. „Das bedeutet für uns, dass jede und jeder in unserer Stadt die Möglichkeit hat, Kultur mitzuerleben und das städtische Leben aktiv mitzugestalten“, sagt dazu Kassels Oberbürgermeister Dr. Sven Schoeller. In der Einladung zum Event heißt es deshalb: „gesehen werden, gehört werden, sich eingeladen fühlen.“ Die Kasseler Museumsnacht ist jedenfalls eine Erfolgsgeschichte: Insgesamt sind 13.000 Menschen unterwegs, weit mehr als 900 besuchen auch das Ständehaus.



„Rede ich zu schnell?“, fragt Bernd Bark plötzlich und blickt entschuldigend zur Übersetzerin. Lachend verneint sie. Sie ist selbst schnell und die Gebärdensprache ebenfalls. Zum Abschluss der Führung wird den Besuchern empfohlen, sich noch die Komik-Ausstellung von Phil Hubbe anzuschauen. Pia Kröner verabschiedet sich. Sie wird schon im Stadtmuseum erwartet. Und eine Übersetzung für Hörbehinderte wird beim Lachen und Schmunzeln über die provokanten Cartoons ganz sicher nicht mehr benötigt.